Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
schon, du würdest nie kommen. Ich bin so krank, daß ich kaum sprechen kann. Ich habe den ganzen Vormittag keine Menschenseele gesehen!«
»Das tut mir leid, daß dir nicht wohl ist«, erwiderte Anne. »In deiner Nachricht vom Donnerstag klangst du so gut!«
»Ja, da habe ich das Beste draus gemacht, das tue ich ja immer, aber ich war keineswegs auf dem Damm, und so elend wie heute morgen habe ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Ich dürfte auf keinen Fall allein sein, da bin ich sicher. Was ist, wenn ich plötzlich von Krämpfen gepackt werde und nicht einmal mehr klingeln kann? So, dann wollte Lady Russell also nicht aussteigen. Ich glaube, sie war diesen Sommer keine drei Mal in diesem Haus.«
Anne antwortete entsprechend und erkundigte sich dann nach Marys Mann. »Oh! Charles ist auf der Jagd. Ich habe ihn seit sieben Uhr nicht mehr gesehen. Er ist einfach gegangen, obwohl ich ihm gesagt habe, wie es um mich steht. Er wollte nicht lange fortbleiben, aber er ist immer noch nicht zurück, und jetzt ist es fast eins. Ich sag dir ja, ich habe den ganzen Vormittag keinen Menschen zu Gesicht bekommen.«
»Hattest du denn nicht deine kleinen Jungen bei dir?«
»Doch, solange ich ihr Geschrei ertragen konnte; aber sie sind so ungebärdig, daß sie mir mehr schaden als nützen. Klein-Charles hört auf nichts, was ich sage, und Walter treibt es fast schon genauso schlimm.«
»Nun, jetzt wird es dir ja bald besser gehen«, entgegneteAnne fröhlich. »Du weißt doch, ich kuriere dich immer im Nu. Was machen eure Nachbarn drüben im großen Haus?«
»Das darfst du mich nicht fragen. Ich habe heute noch keinen von ihnen gesehen, außer Mr. Musgrove, der ganz kurz durchs Fenster mit mir geredet hat, ohne auch nur von seinem Pferd abzusteigen, und obwohl ich ihm gesagt habe, wie schlecht es mir geht, hat sich sonst niemand bei mir blicken lassen. Es hat den Miss Musgroves wohl nicht in ihre Pläne gepaßt, und sie richten sich ja nie gern nach anderen.«
»Sie können gut vor dem Essen noch kommen, es ist ja noch früh.«
»Ich will sie gar nicht, das kannst du mir glauben. Sie reden und lachen mir viel zu viel. Oh! Anne, ich bin so schrecklich elend dran! Es war sehr unnett von dir, nicht schon am Donnerstag zu kommen.«
»Meine liebe Mary, weißt du nicht mehr, wie zufrieden du am Donnerstag klangst? Du hast ganz vergnügt geschrieben, es würde dir ausgezeichnet gehen und du hättest gar keine Eile, mich zu sehen, und unter diesen Umständen wollte ich natürlich bis zum Schluß bei Lady Russell bleiben, das verstehst du doch sicher; aber davon ganz abgesehen war ich wirklich so beschäftigt und hatte so viel zu tun, daß ich kaum früher aus Kellynch weggekonnt hätte.«
»Du meine Güte! was kannst
du
denn groß zu tun haben?«
»Eine Menge, du wirst staunen. Zu viel, als daß es mir auf die Schnelle alles einfiele, aber wenn du ein paar Beispiele willst: Ich habe eine Zweitschrift des Katalogs angefertigt, in dem Vaters Bücher und Gemälde verzeichnet sind. Ich mußte etliche Male mit Mackenzie in den Garten hinaus, um ihm zu erklären – und erst einmal selbst zu verstehen –, welche von Elizabeths Pflanzen zu Lady Russell gebracht werden sollen und welche nicht. Dann gab es all meine eigenen kleinen Belange, um die ich mich kümmern mußte – Bücher und Noten aussortieren und meine sämtlichen Koffer umpacken, weil ich nicht rechtzeitig begriffen hatte, was fürwelchen Wagen bestimmt war. Und dann mußte ich etwas tun, was mir sehr naheging, Mary: ich mußte fast jedem Haus der Gemeinde einen Besuch abstatten, sozusagen zum Abschied, das hatten sich die Leute offenbar gewünscht. Aber das alles hat sehr viel Zeit gekostet.«
»Oh! Nun ja« – und nach einer kurzen Pause: »Aber du hast mit keiner Silbe nach unserem Essen gestern bei den Pooles gefragt.«
»Warst du denn dort? Ich habe deshalb nicht gefragt, weil ich natürlich dachte, du hättest absagen müssen.«
»Oh! aber sicher war ich dort. Gestern ging es mir blendend; bis heute morgen hat mir nicht das kleinste bißchen gefehlt. Es hätte sehr seltsam ausgesehen, wenn ich nicht hingegangen wäre.«
»Wie schön, daß es dir gut genug ging. Hast du hoffentlich einen angenehmen Abend verbracht?«
»Nicht der Rede wert. Man weiß immer schon vorher, was es zu essen geben wird und wer kommt. Und es ist so gräßlich unbequem, keine eigene Kutsche zu haben. Mr. und Mrs. Musgrove haben mich mitgenommen, und wir saßen so eng!
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