Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
daß es ihr von neuem auffiel; und jedesmal wünschte sie, auch andere Elliots dürften einmal erleben, von wie wenig Belang, oder Interesse, hier die Angelegenheiten waren, denen man in Kellynch einen solchen Bekanntheitsgrad und so weltbewegende Bedeutung beimaß; doch trotz aller Erfahrung meinte sie nun einsehen zu müssen, daß auch sie noch dazulernen konnte in der Kunst, sich ihrer Unbedeutendheit außerhalb der eigenen Kreise bewußt zu sein; – denn so übervoll, wie ihr Herz von dem Thema war, das beide Häuser in Kellynch wochenlang ganz vereinnahmt hatte, erwartete sie doch ein klein wenig mehr Neugier und Anteilnahme, als ihr von Mr. und Mrs. Musgrove zuteil wurde, die unabhängig voneinander fast gleichlautend sagten: »Ja, Miss Anne, nun sind Sir Walter und Ihre Schwester also abgefahren – und wo in Bath werden sie sich niederlassen, glauben Sie?« – und das, ohne recht eine Antwort abzuwarten – oder von den jungen Damen, die einwarfen: »Ich hoffe ja,
wir
fahren diesen Winter nach Bath; aber denk dran, Papa,
wenn
wir hinfahren, müssen wir in einer guten Gegend wohnen, nicht wieder an deinem Queen’s Square!« – oder von Mary, die voll böser Ahnungen ergänzte: »Oh! da werde ich ja viel zu lachen haben, wenn ihr euch alle in Bath amüsiert!«
Sie konnte sich nur künftig vor solcher Selbsttäuschung inacht nehmen und doppelt dankbar sein für den Segen, eine so wahrhaft mitfühlende Freundin wie Lady Russell zu haben.
Die Herren Musgrove hatten ihr eigenes Wild, das gehütet und abgeschossen sein wollte, ihre eigenen Pferde, Hunde und Zeitungen, die ihre Aufmerksamkeit forderten; und die Damen waren vollauf beschäftigt mit allem, was sonst so anstand: Haushalt, Nachbarn, Kleider, Musizieren und Tanz. Anne sah vollkommen ein, daß jeder kleine gesellschaftliche Kosmos seine Gesprächsinhalte selbst bestimmen muß, und hoffte, schon bald ein nicht unwürdiges Mitglied desjenigen zu werden, in den sie sich nun hineinverpflanzt fand. – Da ihr mindestens zwei Monate in Uppercross bevorstanden, schien es nur ratsam, ihre Phantasie, ihre Erinnerung, ja ihre ganze Denkart so sehr auf Uppercross einzustellen wie nur möglich.
Ihr war nicht bange vor diesen zwei Monaten. Mary war weder so abweisend und unschwesterlich noch so wenig belehrbar wie Elizabeth; und auch an den anderen Hausbewohnern war nichts, was sie um ihr Wohlbefinden fürchten ließ. – Mit ihrem Schwager verstand sie sich immer gleich gut; und in den Kindern, die sie kaum weniger liebten und ihr um einiges besser folgten als ihrer Mutter, hatte sie einen steten Gegenstand des Interesses und Gewähr für Unterhaltung und heilsame Verausgabung.
Charles Musgrove war ein zuvorkommender und liebenswürdiger Mann, von Intellekt und Naturell her seiner Frau zweifellos überlegen, aber weder reich genug an Gaben noch an Charme oder Lebensart, um die Vergangenheit, durch die sie beide miteinander verbunden waren, zu einem gefährlichen Verweilort für Annes Gedanken zu machen; auch wenn sie Lady Russell beipflichten mußte, daß er durch eine ebenbürtigere Heirat unter Umständen sehr gewonnen hätte und daß eine etwas verständigere Frau seinem Charakter mehr Tiefe hätte geben können und seinen Gewohnheiten und Betätigungen mehr Nützlichkeit, Überlegtheit und Schliff. So freilich betrieb er nichts sonderlich eifrigaußer das Jagen und vertrödelte den Rest seiner Zeit, ohne sich mit Büchern oder sonst etwas Nutzbringendem abzugeben. Er hatte ein fröhliches Gemüt, dem die gelegentlichen Trübsinnsanfälle seiner Frau wenig anhaben konnten; er ertrug ihre Unvernunft auf eine Art, für die Anne ihn nicht selten bewunderte; und sah man von den vielen kleinen Zänkereien zwischen ihnen ab (von denen Anne teils mehr mitbekam, als ihr lieb war, weil beide Seiten an sie appellierten), konnten sie alles in allem als ein glückliches Paar durchgehen. Sie waren sich stets aufs schönste einig darüber, daß sie sehr arm seien und daß ein stattliches Geldgeschenk von Charles’ Vater ihnen sehr zupaß käme; doch wie fast überall war sein Standpunkt auch hier der überlegene, denn während Mary das Ausbleiben eines solchen Geschenkes ganz und gar schändlich fand, hielt er stets wacker dagegen, daß sein Vater noch viele andere Verwendungszwecke für sein Geld habe und das Recht, es auszugeben, wie es ihm beliebe.
Was die Erziehung der Kinder anging, so war seine Theorie weit besser als die seiner Frau und seine Praxis nicht halb
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