Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Drängen von Papa und Mama hin versprochen hatte, morgen abend mit ihnen zu speisen, ja, tatsächlich morgen abend! – Und er habe es so liebenswürdig versprochen, als verstünde er bestens, warum sie so viel Wertauf seine Gesellschaft legten! – und kurzum, er habe so hinreißend ausgesehen und geredet, daß er ihnen ganz die Köpfe verdreht hatte, jawohl! – Und damit rannten sie fort, lachlustig und liebestrunken und sichtlich erfüllter von Captain Wentworth als vom Schicksal des kleinen Charles.
Die gleiche Geschichte samt den gleichen Begeisterungsstürmen wurde wiederholt, als die beiden Mädchen im Abenddunkel mit ihrem Vater zurückkamen, um sich nach dem Patienten zu erkundigen; und Mr. Musgrove, der akuten Sorge um seinen Erben enthoben, konnte alles bestätigen und gleichfalls Captain Wentworth rühmen und hoffen, daß es nun keinen Grund mehr gebe, ihn zu vertrösten, und nur bedauern, daß sie hier im Cottage ja wahrscheinlich nicht bereit sein würden, den Kleinen allein zu lassen, um mit dem Gast Bekanntschaft zu machen. – Um Gottes willen! den Kleinen allein lassen! – Vater wie Mutter saß der Schrecken noch zu sehr in den Gliedern, um den Gedanken nicht weit von sich zu weisen; und Anne, nur zu froh um die Ausrede, schloß sich ihren Beteuerungen aufs wärmste an.
Charles Musgrove allerdings zeigte sich hinterher schon geneigter: der Zustand des Kindes sei so stabil … und er selbst so erpicht auf ein Kennenlernen … ob er nicht vielleicht doch am Abend noch zu der Gesellschaft stoßen könne, nicht zum Essen, das nein, aber vielleicht auf ein halbes Stündchen hernach? Doch dagegen erhob seine Frau hitzig Einspruch: »O nein! wirklich, Charles, du darfst nicht einfach fortgehen. Stell dir vor, es passiert etwas!«
Das Kind verbrachte eine ruhige Nacht, und sein Zustand blieb auch am nächsten Tag stabil. Ob das Rückgrat tatsächlich unbeschädigt war, konnte nur die Zeit erweisen, aber Mr. Robinson fand keinen Grund zu verstärkter Besorgnis, und Charles Musgrove sah folglich immer weniger Anlaß, sich zu kasteien. Das Kind sollte im Bett bleiben und so still beschäftigt werden wie nur möglich: was gab es da für den Vater zu tun? Der Fall war reine Frauensache; absurd, wenner, der von keinerlei Nutzen sein konnte, sich deshalb im Haus einsperrte! Seinem Vater sei so sehr daran gelegen, daß er Captain Wentworth kennenlernte, und da nun wirklich nichts dagegen sprach, dürfe er ihn nicht enttäuschen; und das Ganze endete damit, daß er sich, als er von der Jagd zurückkam, trotzig hinstellte und erklärte, er werde sich nun umziehen und drüben speisen.
»Das Kind macht prächtige Fortschritte«, so er, »deshalb habe ich meinem Vater jetzt zugesagt, und er fand es völlig richtig von mir. Und da du ja auch deine Schwester bei dir hast, Liebste, gehe ich ohne alle Bedenken. Du wirst ihn ja sicher nicht allein lassen wollen, aber du weißt selber, daß ich dir nichts nützen kann. Anne wird nach mir schicken, falls irgend etwas sein sollte.«
Eheleute wissen es in der Regel, wenn Widerstand zwecklos ist. Charles’ Ton machte Mary klar, daß sein Entschluß feststand und daß sie sich ihre Einwendungen sparen konnte. Also schwieg sie, bis er aus dem Zimmer war, aber sobald nur Anne es hören konnte, begann sie:
»So! Jetzt dürfen also du und ich alleine zusehen, wie wir mit dem armen kranken Kind fertig werden – den ganzen langen Abend, ohne eine Menschenseele zur Gesellschaft! Ich wußte, daß es so kommen würde. Das ist mein typisches Pech! Sobald es etwas Unangenehmes zu tun gibt, verdrücken die Männer sich, Charles ist da um keinen Deut besser als andere. Sehr gefühllos! Ich muß wirklich sagen, es ist ausgesprochen gefühllos von ihm, so vor seinem armen kleinen Sohn wegzulaufen. Klein-Charles macht so gute Fortschritte, sagt er! Woher will er denn wissen, daß er so gute Fortschritte macht und daß nicht in einer halben Stunde plötzlich alles umschlägt? Das hätte ich von Charles nicht gedacht, daß er dermaßen gefühllos ist. So, da geht er also weg und amüsiert sich, und nur, weil ich die arme Mutter bin, soll ich mich nicht vom Fleck rühren dürfen; – dabei bin ich genaugenommen viel schlechter geeignet, bei dem Kleinenzu bleiben, als jeder andere. Gerade weil ich die Mutter bin, sollten meine Gefühle nicht so auf die Probe gestellt werden. Das geht über meine Kräfte. Du hast doch selbst gesehen, wie hysterisch ich gestern war.«
»Aber das kam nur
Weitere Kostenlose Bücher