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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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und ein Vergessen des Vergangenen: wie natürlich, ja unausweichlich! Es war fast ein Drittel ihres Lebens.
    Doch ach! alle Vernunft zeigte ihr letztlich nur, daß für zählebige Gefühle acht Jahre so gut wie nichts sind.
    Aber wie war es um
seine
Gefühle bestellt? Verhielt sich so jemand, der ihr aus dem Weg gehen wollte? Und einen Augenblick später verwünschte sie sich für die Torheit, die ihr solch eine Frage eingab.
    In einer anderen Frage hingegen, die selbst höchste Weisheit nur schwer hätte unterbinden können, war ihr keine lange Ungewißheit vergönnt; denn nachdem die Miss Musgroves zurückgekehrt waren und ihren Besuch im Cottage nachgeholt hatten, eröffnete Mary ihr freimütig:
    »Captain Wentworth war nicht sehr galant gegen dich, Anne, obwohl er doch zu mir so aufmerksam war. Henrietta hat ihn vorhin beim Aufbrechen gefragt, wie er dich fände, und er sagte, du hättest dich so verändert, daß er dich kaum wiedererkannt hätte.«
    Mary kam schon gemeinhin nicht auf die Idee, irgendwelche Gefühle ihrer Schwester könnten der Schonung bedürfen, und noch weniger ahnte sie, welche Wunde sie ihr hier schlug.
    Zur Unkenntlichkeit verändert! Anne unterwarf sich dem Urteil in tiefer, stummer Verletztheit. Zweifellos hatte er recht; und sie konnte keinerlei Rache nehmen, denn er war nicht verändert, oder wenigstens nicht zum Schlechteren. Zu diesem Urteil war sie für sich längst gekommen, und sie würde nicht davon abrücken, mochte er über sie denken, wie er wollte. Nein; die Jahre, die ihr Jugend und Schönheit geraubt hatten, hatten ihm nur eine strahlendere, offenere Männlichkeit verliehen, ohne seinen äußerlichen Vorzügen im mindesten Abbruch zu tun. Vor ihr hatte derselbe Frederick Wentworth gestanden.
    So verändert, daß er sie kaum wiedererkannt hätte! Das waren Worte, die sich nicht ohne weiteres abschütteln ließen. Doch bald begann sie sich zu sagen, daß sie froh sein konnte, sie gehört zu haben. Sie waren von ernüchternder Wirkung; sie beschwichtigten den Aufruhr; sie gaben ihr Fassung und mußten sie folglich glücklicher machen.
    Frederick Wentworth hatte in der Tat solche oder ganz ähnliche Worte gebraucht, ohne freilich daran zu denken, daß sie ihr hinterbracht werden könnten. Er fand sie erschreckend verändert; und so geradeheraus nach seinem Eindruck befragt, hatte er kein Blatt vor den Mund genommen. Er hatte Anne Elliot nicht vergeben. Sie hatte ihn schändlich behandelt, sie hatte ihn fallengelassen und enttäuscht, und schlimmer noch, sie hatte dabei eine Charakterlosigkeit bewiesen, die seine eigene Entschiedenheit und Selbstgewißheit nichthinnehmen konnten. Sie hatte ihn aufgegeben, um es anderen recht zu machen. Sie war vor der dauernden Einmischung eingeknickt. Sie hatte sich schwach und kleinmütig gezeigt.
    Er hatte sie sehr liebgehabt und seither keine Frau kennengelernt, die ihr gleichkam; doch abgesehen von einem natürlichen Gefühl der Neugier trieb ihn nichts dazu, sie wiederzusehen. Ihre Macht über ihn war ein- für allemal dahin.
    Jetzt hatte er vor, sich zu binden. Er war reich und, nun, da er vorerst an Land blieb, zur Heirat entschlossen, sobald die Verlockung groß genug war; ja mehr noch, er hielt Ausschau, und er gedachte sich mit der ganzen Zügigkeit zu verlieben, die ein klarer Kopf und ein kritischer Geschmack zuließen. Er war für jedwede Miss Musgrove zu haben, wenn sie denn sein Herz zu gewinnen verstand, oder genauer gesagt, für jede vorzeigbare junge Frau, die seinen Weg kreuzte – für jede außer Anne Elliot. Das war seine einzige heimliche Einschränkung, als er seiner Schwester auf ihre Anspielungen hin erwiderte:
    »Ja, hier stehe ich, Sophia, zu jeglicher Torheit bereit. Jede zwischen fünfzehn und dreißig kann mich haben, wenn sie sich nicht zu dumm anstellt. Ein hübsches Gesicht, ein nettes Lächeln und ein paar Komplimente an die Marine, schon bin ich umgarnt. Was kann denn ein Seemann auch mehr wollen, wenn er keine weibliche Gesellschaft gewöhnt ist, die ihn wählerisch macht?«
    Er wollte Widerspruch hören, das wußte sie. Sein siegessicherer Blick verkündete selbstbewußt, daß er sehr wohl wählerisch sei, und Anne Elliot war nicht fern von seinen Gedanken, als er die Frau, die er sich wünschte, ernsthafter beschrieb. »Von starkem Charakter und gewinnend in ihrem Wesen«, das war das A und O seiner Beschreibung.
    »Das ist die Frau, die ich haben will«, sagte er. »Ein wenig darf sie natürlich dahinter

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