Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
schön, wenn auch keineswegs mehr blühend, und von einer unfehlbaren Sicherheit und Zartheit im Umgang; und zwölf Jahre hatten die gutaussehende, gutgewachsene Miss Hamilton, damals so strahlend gesund und selbstbewußt, in eine arme, gebrechliche, hilflose Witwe verwandelt, die den Besuch ihres früheren Schützlings als Gefälligkeit aufnahm; aber alle Beklommenheit des ersten Zusammentreffens war bald verflogen, und sie konnten angeregt einstige Neigungen aufleben lassen und alter Zeiten gedenken.
Anne fand in Mrs. Smith all die Vernünftigkeit und Umgänglichkeit wieder, von der sie fast auszugehen gewagt hatte, und dazu eine Bereitschaft zum Plaudern und Fröhlichsein, die ihre Erwartungen weit überstieg. Weder die Zerstreuungen der Vergangenheit – und sie hatte in sehr mondänem Stil gelebt – noch die Beengtheit der Gegenwart, weder Krankheit noch Kummer schienen ihr das Herz verhärtet oder sie ihres guten Mutes beraubt zu haben.
Bei einem zweiten Besuch redete sie mit großer Offenheit, und Anne staunte noch mehr. Eine trostlosere Situation als die von Mrs. Smith schien kaum vorstellbar. Sie hatte ihren Mann sehr liebgehabt – er lag unter der Erde. Sie war Wohlstand gewohnt gewesen – er war dahin. Sie hatte kein Kind, das ihr den Weg zurück zu Glück und Leben wies, keine Angehörigen, die ihr ihre verworrenen Angelegenheiten ordnen halfen, keine Gesundheit, um ihr alles Übrige erträglich zu machen. Ihre Behausung belief sich auf eine laute Wohnstube mit einer düsteren Schlafkammer dahinter, sie mußte sich von einem Raum in den anderen helfen lassen, wofür nur ein einziges Mädchen im ganzen Haus zur Verfügung stand, und außer Haus kam sie nur, wenn sie in die Bäder geschafft wurde. – Doch trotz alledem hatte Anne den Eindruck, daß bei ihr vereinzelten Momenten der Abgespanntheit und Bedrücktheit lange Stunden der Tätigkeit und Wohlgemutheit gegenüberstanden. Wie ging das zu?– Sie sah hin – beobachtete – sann nach – und kam zu dem Schluß, daß dies nicht Seelenstärke oder Schicksalsergebenheit allein sein konnte. – Ein demütiger Charakter mochte Geduld verleihen, ein scharfer Verstand Willenskraft, aber damit war es hier nicht getan: eine derartige geistige Geschmeidigkeit, eine derartige Bereitschaft, Trost zu schöpfen, ein derartiges Vermögen, statt dem Schlechten das Gute zu sehen und Betätigungen zu finden, die vom eigenen Unglück ablenkten, konnte ihr nur die Natur selbst mit auf den Weg gegeben haben. Es war das kostbarste Himmelsgeschenk; undAnne empfand ihre Freundin als einen der wenigen Menschen, bei denen diese Gabe durch eine gnadenreiche Fügung dazu bestimmt ist, nahezu jeden anderen Mangel aufzuwiegen.
Es habe eine Zeit gegeben, berichtete Mrs. Smith, da hätte sie der Mut fast verlassen. Verglichen mit der Verfassung, in der sie in Bath eingetroffen war, könne sie jetzt kaum mehr als krank gelten. Damals sei sie wahrhaft kläglich dran gewesen, denn sie hatte sich auf der Reise verkühlt und hatte ihr Quartier noch kaum bezogen gehabt, als sie erneut aufs Krankenlager gestreckt wurde, mit anhaltenden, starken Schmerzen auch noch, und all dies in der Fremde – voll und ganz auf tägliche Pflege angewiesen und ohne einen Penny extra, um an eine solche Ausgabe auch nur zu denken. Sie hatte jedoch allen Widrigkeiten getrotzt und konnte nun aufrichtig sagen, daß sie gestärkt daraus hervorgegangen war; gestärkt deshalb, weil sie sich gut aufgehoben hatte fühlen dürfen. Sie wußte zuviel von der Welt, um von irgendeiner Seite sofortige, selbstlose Zuwendung zu erwarten, doch über ihrer Krankheit hatte sich gezeigt, daß ihre Zimmerwirtin einen Ruf zu wahren hatte und ihr nur das Beste wollte; und noch größeres Glück hatte sie mit ihrer Pflegerin gehabt, denn eine Schwester ihrer Zimmerwirtin, Krankenwärterin von Beruf, die zwischen ihren Anstellungen im Haus Unterkunft fand, war just zu dieser Zeit frei und konnte sich ihrer annehmen. – »Und nicht nur«, sagte Mrs. Smith, »hat sie mich aufs vorzüglichste umsorgt, sie hat sich auch als eine unschätzbare Bekanntschaft erwiesen. – Sobald ich meine Hände wieder gebrauchen konnte, hat sie mir das Stricken beigebracht, was ein großer Spaß war; und sie hat mir gezeigt, wie man diese kleinen Garnsäckchen und Nadelbücher und Kartenhalter anfertigt, mit denen ich fortwährend beschäftigt bin und die mich in die Lage versetzen, ein, zwei sehr armen Familien aus der Nachbarschaft ein klein
Weitere Kostenlose Bücher