Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
auf.
Etliche Jahre waren vergangen, seit Anne hatte erkennen müssen, daß sie und ihre vortreffliche Freundin nicht in allem übereinstimmten; darum überraschte es sie nicht, daß Lady Russell nichts Verdächtiges oder Widersprüchliches in Mr. Elliots starkem Versöhnungswillen zu entdecken vermochte, nichts, was eine Erklärung über die gebotene hinaus erforderte. Nach Lady Russells Meinung war nichts Seltsames daran, wenn Mr. Elliot in erwachsenerem Alter begriff, daß ein gutes Verhältnis zu dem Oberhaupt seiner Familie sein Ansehen bei allen vernünftigen Menschen nur fördern konnte: ein ganz natürlicher Reifungsprozeß bei einem Mann von Verstand, den einzig und allein jugendlicher Übermut kurzzeitig irregeführt hatte. Anne nahm es sich dennoch heraus, dazu zu lächeln, und erwähnte endlich Elizabeth. Lady Russellhörte sie an, schaute bedächtig und erwiderte nichts als: »Elizabeth! Schön; das wird sich zeigen.«
Es war ein Verweis auf die Zukunft, den nach einigem Beobachten auch Anne beherzigen mußte. Für den Augenblick konnte sie nichts ausmachen. In ihrem Haus stand Elizabeth zwangsläufig an erster Stelle, und ihr Status als »Miss Elliot« verlangte ein solches Maß an genereller Beachtung, daß für eine gesonderte Aufmerksamkeit ohnehin kaum Raum blieb. Außerdem war Mr. Elliot, auch das durfte nicht vergessen werden, noch keine sieben Monate Witwer. Ein wenig Zurückhaltung auf seiner Seite schien da durchaus entschuldbar. Mehr noch, sooft Annes Blick auf den Trauerflor an seinem Hut fiel, sah sie die Unentschuldbarkeit eher bei sich, die sie ihm solche Gedanken unterstellte; denn seine Ehe, obschon nicht sonderlich glücklich, hatte doch zu lange gewährt, als daß er sich so rasch von dem Eindruck ihres beklemmenden Endes würde freimachen können.
Aber wie es auch ausgehen mochte, er war zweifelsfrei der angenehmste ihrer Bekannten in Bath, sie hätte keinen gewußt, der sich mit ihm messen konnte; und sie genoß es, ab und zu mit ihm über Lyme reden zu können, das er, so schien es, ebenso dringlich wiederzusehen und besser kennenzulernen wünschte wie sie. Ein ums andere Mal rekapitulierten sie miteinander die Umstände ihrer ersten Begegnung. Er gab ihr zu verstehen, daß er sie mit einiger Ernsthaftigkeit angesehen hatte. Sie wußte es gut; und auch den Blick einer anderen Person wußte sie noch.
Sie waren nicht in allem einer Meinung. Rang und Beziehungen galten ihm deutlich mehr als ihr, stellte sie fest. Es war nicht bloße Höflichkeit, es mußte eine Passion für die Sache selbst sein, die ihn so warmen Anteil an Sir Walters und Elizabeths Aufregung in einer Angelegenheit nehmen ließ, die Anne eines solchen Aufhebens recht unwürdig schien. Die Bather Zeitung meldete eines Morgens die Ankunft der Vicomtesse-Witwe Dalrymple und ihrer Tochter,der Ehrenwerten Miss Carteret; und aller Frieden am Camden Place Nr. – war für viele Tage dahin; denn die Dalrymples waren (sehr zu Annes Bedauern) entfernte Verwandte der Elliots, und die bohrende Frage war nun: Wie kam man an sie heran?
Anne hatte Vater und Schwester nie zuvor im Kontakt mit dem Hochadel erlebt, und sie mußte sich eingestehen, daß sie enttäuscht war. Sie hatte sich mehr versprochen vom Standesdünkel der beiden und sah sich nun zu einem Wunsch genötigt, mit dem sie niemals gerechnet hätte: dem Wunsch, sie möchten mehr Stolz besitzen; denn »unsere Verwandten Lady Dalrymple und Miss Carteret«, »unsere Verwandten, die Dalrymples« klang ihr von früh bis spät in den Ohren.
Sir Walter hatte vor Zeiten mit dem verstorbenen Vicomte Umgang gepflegt, aber den Rest der Familie nie kennengelernt, und die Schwierigkeit des Falles rührte daher, daß alle Korrespondenz zwischen ihnen brachlag, seit beim Tod des besagten verstorbenen Vicomtes eine gefährliche Erkrankung Sir Walters zu einer fatalen Versäumnis in Kellynch geführt hatte. Kein Kondolenzschreiben war nach Irland geschickt worden. Der Fauxpas fiel auf den Sünder selbst zurück, denn als die arme Lady Elliot ihrerseits starb, ging kein Kondolenzschreiben in Kellynch ein, und so mußte man notgedrungen annehmen, daß die Dalrymples das Tischtuch zwischen ihnen als zerschnitten ansahen. Wie sich diese bedrückende Mißstimmung aus der Welt schaffen ließ, auf daß sie wieder in Gnaden aufgenommen würden, war nun die Frage; und es war eine Frage, die, wenn auch auf sachlichere Art, weder Lady Russell noch Mr. Elliot für unwichtig erachteten.
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