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Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung

Titel: Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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fest, wie daß er ihrer wert war; und insgeheim zählte sie schon die Wochen, die noch vergehen mußten, bis er auch die letzten Bande seines Witwertums abgeworfen hätte und seinen Charme ungehindert spielen lassen konnte. Gegenüber Anne äußerte sie sich nicht annähernd mit der Gewißheit, die sie in der Frage empfand, sondern höchstens in vorsichtigen Andeutungen dessen, was einmal sein könnte – verkappten Hinweisen auf eine mögliche Zuneigung seinerseits und auf die Erwünschtheit der Verbindung, sollte eine solche Zuneigung wirklich bestehen und erwidert werden. Anne hörte sie an und enthielt sich aller heftigen Ausrufe. Sie lächelte nur, errötete und schüttelte sacht den Kopf.
    »Ich bin keine Ehestifterin, das weißt du«, sagte Lady Russell, »dazu ist mir die Unsicherheit allen menschlichen Planens und Berechnens zu bewußt. Ich sage lediglich,
sollte
Mr. Elliot eines Tages um dich anhalten und
solltest
du dich dazu aufgelegt fühlen, ihn zu erhören, dann schätze ich dieWahrscheinlichkeit, daß ihr miteinander glücklich werdet, sehr hoch ein. Eine sehr passende Verbindung würde es wohl jeder nennen – aber ich glaube, es könnte auch eine sehr glückliche sein.«
    »Mr. Elliot ist ein ausnehmend angenehmer Mensch, und in vieler Hinsicht halte ich große Stücke auf ihn«, sagte Anne, »aber wir würden nicht zusammenpassen.«
    Lady Elliot ging darüber hinweg und erwiderte nur: »Ich gestehe ganz offen, dich als angehende Herrin von Kellynch betrachten zu dürfen, als die angehende Lady Elliot – mir vorstellen zu dürfen, du könntest einmal die Nachfolge deiner lieben Mutter antreten, nicht nur in ihren Tugenden, sondern auch ihren Rechten und ihrer Beliebtheit – das wäre mir die größte aller Genugtuungen. Du bist ihr Ebenbild, äußerlich wie innerlich; und dich eines Tages an ihrer Stelle zu sehen, mit ihrem Titel, in ihrem Haus, als lenkende und segnende Hand so wie sie früher, und ihr über nur insofern, als du höher geschätzt wärst als sie – meine liebste Anne, das würde mich so froh machen, wie es in meinem Alter nicht vielen vergönnt ist!«
    Anne mußte sich abwenden, sie mußte von ihrem Platz aufstehen, zu einem entfernt stehenden Tisch hinübergehen und sich dort zum Schein mit etwas zu schaffen machen, um der Gefühle Herr zu werden, die diese Vorstellung in ihr weckte. Einige Augenblicke lang waren ihre Phantasie und ihr Herz betört davon. Der Gedanke daran, den Platz ihrer Mutter einzunehmen, diejenige zu sein, in der der kostbare Name »Lady Elliot« wieder lebendig wurde, nach Kellynch zurückzukehren als in ihr Heim, ihr Heim für immer, hatte einen Zauber, dem sie sich nicht gleich entziehen konnte. Lady Russell verzichtete darauf, weiterzusprechen, im Glauben, die Sache nun getrost sich selbst überlassen zu können; im Glauben auch, daß Mr. Elliot, hätte es ihm in diesem Moment nur freigestanden, sich zu erklären … kurz, im Glauben an all das, woran Anne nicht glaubte. EbendiesesBild, das Bild Mr. Elliots, wie er sich ihr erklärte, gab Anne ihre Fassung zurück. Der Zauber von Kellynch, von »Lady Elliot« verflog. Sie konnte niemals seine Frau werden. Und nicht nur sträubte sich ihr Gefühl hartnäckig gegen jeden Mann außer dem einen: wenn sie ernsthaft überlegte, was aus der Sache entstehen könnte, dann entschied auch ihr Verstand gegen ihn.
    Obwohl sie sich einen ganzen Monat kannten, fühlte sie sich über seinen Charakter nicht recht im Bilde. Daß er ein gescheiter Mensch war, ein angenehmer Mensch – daß er redegewandt war, achtbare Ansichten äußerte, daß er klar urteilte, ganz so wie von einem Mann von Prinzipien zu erwarten – an alledem bestand kein Zweifel. Er wußte eindeutig, was recht war, und sie hätte kein Gebot der Moral nennen können, gegen das er nachweislich verstieß; dennoch hätte sie sich für sein Verhalten nur ungern verbürgt. Sie mißtraute der Vergangenheit, wenn schon nicht der Gegenwart. Die Namen alter Weggefährten, die er gelegentlich fallenließ, die Andeutungen früherer Beschäftigungen und Geschäfte tauchten sein Vorleben in ein verdächtiges Licht. Sie zeigten ihr, daß er schlechten Angewohnheiten gefrönt hatte; daß er nichts dabei gefunden hatte, sonntags zu reisen; daß es eine Phase in seinem Leben gegeben hatte (und allem Anschein nach eine nicht eben kurze), in der ihn alle ernsten Fragen bestenfalls gleichgültig gelassen hatten; und mochte er inzwischen auch sehr anders denken, wer

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