Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
sagte Anne, »dann bin ich allerdings stolz, zu stolz, um mir etwas aus einem Willkommen zu machen, das so sehr von der Örtlichkeit abhängt.«
»Ihre Entrüstung ehrt Sie«, sagte er, »sie ist völlig natürlich. Aber nachdem Sie nun einmal in Bath sind, muß es darum gehen, sich hier mit all dem Ansehen und all der Würdigkeit einzuführen, die Sir Walter Elliot gebührt. Sie sprechen von Stolz, auch mich nennt man gern stolz, wie ich weiß, und ich würde es nicht anders haben wollen, denn unser beider Stolz, da bin ich sicher, zielt letztlich in die gleiche Richtung, auch wenn er vielleicht unterschiedlich geartet scheint. Denn in einem Punkt, denke ich doch, meine liebe Kusine«, fuhr er fort, seine Stimme gedämpft, obwohl außer ihnen niemand im Raum war, »in einem Punkt, denke ich doch, müssen wir übereinstimmen. Wir müssen übereinstimmen, daß bei Ihrem Vater jeder neue Umgang mit Gleich- oder Höhergestellten von Nutzen sein kann, um seine Gedanken von denen abzulenken, die unter ihm stehen.«
Im Sprechen sah er zu dem Platz, auf dem zuvor Mrs. Clay gesessen hatte, so daß hinreichend klar wurde, wie er es meinte; und wenn Anne auch bezweifelte, daß sie die gleiche Art Stolz besaßen, freuten sie doch seine Vorbehalte gegen Mrs. Clay, und sie mußte sich eingestehen, daß ihr der Wunsch, die Dame aus dem Feld zu schlagen, seine Unterstützung von Sir Walters gesellschaftlichen Ambitionen gleich verzeihlicher erscheinen ließ.
KAPITEL V
Während Sir Walter und Elizabeth fleißig am Laura Place ihr Glück suchten, frischte Anne eine Bekanntschaft ganz anderer Art auf.
Sie hatte ihre ehemalige Erzieherin besucht und durch sie erfahren, daß sich eine alte Schulkameradin von ihr in Bath aufhielt, die gleich doppelt Anspruch auf Annes Zuwendung hatte, durch die Freundlichkeiten von früher und die Leiden von jetzt. Miss Hamilton, nun Mrs. Smith, hatte sich Annes in einer jener Lebensphasen angenommen, da diese Zuspruch bitter benötigte. Anne war unglücklich zur Schule gegangen, voll Trauer um eine Mutter, die sie innig geliebt hatte, von Heimweh geplagt und mithin so bedrückt, wie eine stille, sensible Vierzehnjährige zu einer solchen Zeit nur sein kann; und Miss Hamilton, die drei Jahre älter war als sie, aber keine Angehörigen und kein echtes Zuhause besaß und darum ein Jahr länger im Pensionat geblieben war, hatte sich gegen sie nützlich und gut gezeigt auf eine Art, die Annes Unglück beträchtlich verringert hatte, so daß sie nie gleichgültig an sie zurückdachte.
Miss Hamilton hatte die Schule verlassen, hatte sich wenig später verheiratet, dem Vernehmen nach mit einem Mann von Vermögen, und das war alles, was Anne von ihr gewußt hatte, bis nun die Auskünfte ihrer Erzieherin ein klareres, aber sehr anderes Bild ihrer Lage zeichneten.
Sie war Witwe, und sie war arm. Ihr Mann hatte ein ausschweifendes Leben geführt und ihr bei seinem Tod vor zwei Jahren entsetzlich ungeordnete Verhältnisse hinterlassen. Siehatte mit Verwicklungen aller Art zu kämpfen gehabt, und als wären das nicht Widernisse genug, war sie von einem schweren rheumatischen Fieber befallen worden, das sich schließlich in ihren Beinen festgesetzt und sie bis auf weiteres zum Krüppel gemacht hatte. Aus diesem Grund war sie nach Bath gekommen und hatte sich in der Nähe der Thermalbäder eingemietet, wo sie sehr ärmlich lebte, ohne den Komfort auch nur eines eigenen Mädchens, und wie kaum anders zu erwarten, nahezu ohne jeden gesellschaftlichen Verkehr.
Ihre gemeinsame Freundin verbürgte sich dafür, daß ein Besuch von Miss Elliot Mrs. Smith sehr freuen würde, und Anne verlor daher keine Zeit. Zu Hause erwähnte sie nichts von dem, was sie erfahren hatte und was sie plante. Es hätte niemanden groß interessiert. Sie besprach sich nur mit Lady Russell, die ihre Empfindungen voll und ganz teilte und sie bereitwillig so nahe an Mrs. Smiths Unterkunft in den Westgate Buildings absetzte, wie Anne es wünschte.
Der Besuch wurde gemacht, die Bekanntschaft wieder aufgenommen, ihr Interesse aneinander neu belebt. Die ersten zehn Minuten konnten nicht ohne Befangenheit, nicht ohne Emotionen ablaufen. Zwölf Jahre waren seit ihrem Abschied voneinander vergangen, und keine glich mehr ganz dem Bild, das sich die andere von ihr bewahrt hatte. Zwölf Jahre hatten Anne von der blühenden, schweigsamen, ungeformten Fünfzehnjährigen zu einer eleganten kleinen Frau von siebenundzwanzig reifen lassen, hübsch und
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