Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
wenig Gutes zu tun. Sie kennt eine große Anzahl von Leuten, reinberuflich natürlich, die reichlich Geld zum Ausgeben haben, und sie vertreibt meine Ware. Sie findet immer den rechten Zeitpunkt, um davon anzufangen. Denn wissen Sie, das Herz ist offen, wenn man eine lange Zeit der Schmerzen hinter sich hat oder sich von einer Krankheit erholt, und Schwester Rooke weiß genau, wie sie es angehen muß. Sie ist eine lebenskluge, gescheite, vernünftige Frau. In ihrem Beruf lernt man die Menschen kennen; und ihr guter Verstand und ihre Beobachtungsgabe machen sie zu einer unendlich brauchbareren Gesellschafterin als Tausende von denen, die lediglich ›hochgebildet‹ sind und deshalb nichts wissen, was des Zuhörens wert wäre. Nennen Sie es ruhig Klatsch – aber wenn Schwester Rooke ein halbes Stündchen für mich erübrigen kann, dann hat sie mit Sicherheit etwas zu berichten, das unterhaltsam und nützlich ist, etwas, das einem neue Aufschlüsse über seine Mitmenschen verschafft. Man möchte doch wissen, was sich in der Welt tut, man möchte auf dem laufenden sein über die neuesten Nichtigkeiten, mit denen sich die Leute ihre Zeit vertreiben. Für mich, die ich so abgeschieden lebe, sind ihre Geschichten ein Hochgenuß.«
Anne, der es fernlag, solche Freuden zu bekritteln, erwiderte: »Das glaub ich gern. Frauen dieses Stands haben große Möglichkeiten, und wenn sie intelligent sind, können sie sehr viel zu erzählen haben. Allein die vielen verschiedenen Menschentypen, die ihnen allenthalben begegnen! Und es sind ja nicht nur ihre Torheiten, mit denen sie sich auskennen; sie erleben sie zum Teil in ihren spannendsten und ergreifendsten Momenten. Was für Szenen innigster, selbstloser, selbstverleugnender Hingabe sie zu sehen bekommen müssen, welches Heldentum, welche Seelenstärke, Geduld und Entsagung – alles Ringen und aller Verzicht, die uns am meisten Größe verleihen. Ein Krankenzimmer kann oft so bereichernd sein wie die Lektüre vieler Bände.«
»Ja«, sagte Mrs. Smith mit Zweifel in der Stimme, »manchmal kann es das, obgleich ich fürchte, seine Lektionen sindselten so nobler Art, wie Sie es darstellen. Vereinzelt erweist sich die menschliche Natur als groß im Angesicht der Prüfung, aber gemeinhin sind es doch ihre Schwächen und nicht ihre Stärken, die in der Krankenstube zutage treten; und weniger als von Großmut und Seelenstärke hört man von Selbstsucht und Ungeduld. Es gibt so wenig wahre Freundschaft auf der Welt! – und leider Gottes« (dies leise, mit einem Beben in der Stimme) »denken so viele nicht ernsthaft nach, bis es fast schon zu spät ist.«
Anne konnte ihre Not verstehen. Ihr Mann war nicht das gewesen, was er sein sollte, und hatte seine Frau in Kreise eingeführt, die ihr ein schlechteres Bild von der Welt vermittelt hatten, als es diese hoffentlich verdiente. Es war jedoch nur eine vorübergehende Anwandlung, Mrs. Smith schüttelte sie ab und fügte schon bald in verändertem Ton hinzu:
»Nicht daß ich glauben würde, die derzeitige Stellung meiner Freundin Mrs. Rooke könnte viel an Interessantem oder Erbaulichem für mich hergeben. Sie betreut nur Mrs. Wallis in den Marlborough Buildings – eine von diesen hübschen, hohlköpfigen, kostspieligen feinen Damen, wie es scheint – und wird natürlich von nichts anderem zu berichten wissen als von Spitze und modischem Putz. Ich gedenke aus Mrs. Wallis aber dennoch meinen Profit zu schlagen. Sie hat viel Geld, und ich stelle mir vor, daß sie alle diese überteuerten Sächelchen kaufen wird, die ich hier in Arbeit habe.«
Anne war schon einige Male bei ihrer Freundin gewesen, ehe die Existenz letzterer am Camden Place ruchbar wurde. Schließlich jedoch mußte ihrer Erwähnung getan werden.– Sir Walter, Elizabeth und Mrs. Clay kehrten eines Vormittags mit einer Einladung vom Laura Place zurück, einer kurzfristigen Einladung Lady Dalrymples für den Abend, und Anne hatte sich für denselben Abend bereits in den Westgate Buildings angesagt. Es tat ihr nicht leid, verhindert zu sein.Die Einladung, da war sie sich sicher, rührte nur daher, daß Lady Dalrymple, die ein häßlicher Schnupfen ans Haus fesselte, hier einmal einen Nutzen in der Bekanntschaft sah, die ihr so sehr aufgedrängt worden war, und so war sie mit ihrer Absage rasch bei der Hand: sie habe den Abend bereits einer alten Schulkameradin versprochen. Sehr interessiert waren sie nicht, denn es ging ja um Anne, aber sie stellten doch Fragen genug, daß
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