Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
ans Licht kam, was es mit dieser alten Schulkameradin auf sich hatte, und Elizabeth nahm’s mit Verachtung auf und Sir Walter gestreng:
»Westgate Buildings!« sagte er, »und wen besucht Miss Anne Elliot in den Westgate Buildings? – Eine Mrs. Smith. Ein verwitwete Mrs. Smith – und wer war ihr Gatte? Einer der fünftausend Mr. Smiths, auf deren Namen man alle naslang trifft. Und worin besteht ihr Reiz? Darin, daß sie alt und kränklich ist. – Auf mein Wort, Miss Anne Elliot, du hast in der Tat einen ausgefallenen Geschmack! Alles, was andere Leute abstößt, niedriger Umgang, klägliche Räumlichkeiten, schlechte Luft, widerwärtige Verbindungen, alles das zieht dich an. Aber du kannst die alte Dame doch sicher auf morgen vertrösten. Sie ist ihrem Ende ja vermutlich noch nicht so nahe, daß sie den morgigen Tag nicht mehr erleben wird. Wie alt ist sie? Vierzig?«
»Nein, Sir, noch nicht einunddreißig; aber ich glaube nicht, daß ich unsere Verabredung verschieben kann, weil heute der einzige Abend für einige Zeit ist, an dem es sowohl ihr als auch mir paßt. – Morgen ist sie in den Bädern, und den Rest der Woche sind ja
wir
nicht frei.«
»Aber was hält Lady Russell von diesem Umgang?« erkundigte sich Elizabeth.
»Sie sieht nichts Tadelnswertes daran«, antwortete Anne, »im Gegenteil, sie heißt ihn gut und hat mich meistens selbst hingebracht, wenn ich Mrs. Smith besucht habe.«
»In den Westgate Buildings wird man nicht schlecht gestaunt haben, eine Kutsche so nahe heranfahren zu sehen!«bemerkte Sir Walter. – »Sir Henry Russells Witwe führt vielleicht keine Ehrenzeichen in ihrem Wappen, aber eine ansehnliche Equipage ist es doch, und nicht wenige werden wissen, daß eine Miss Elliot darin fährt. – Eine verwitwete Mrs. Smith aus den Westgate Buildings! – eine arme Witwe, die am Hungertuch nagt, zwischen dreißig und vierzig – eine bloße Mrs. Smith, eine dahergelaufene Mrs. Smith, mit einem solchen Allerweltsnamen auch noch – ausgerechnet die wird von Miss Anne Elliot zu ihrer Busenfreundin erwählt und über ihre eigenen Verwandten aus dem englischen und irischen Hochadel gestellt! Mrs. Smith! Schon allein der Name!«
Mrs. Clay, die all dies mit angehört hatte, hielt es nun für geraten, das Zimmer zu verlassen, und Anne hätte sehr viel zu sagen gewußt und durchaus auch ein wenig zu sagen
gewünscht
über das Anrecht ihrer Freundin, das sich von dem einer gewissen anderen Freundin nicht
so
sehr unterschied, aber Respekt vor dem Vater ließ sie schweigen. Sie gab keine Antwort. Sie überließ es ihm, sich darauf zu besinnen, daß Mrs. Smith nicht die einzige Witwe in Bath zwischen dreißig und vierzig mit schmalem Auskommen und wenig illustrem Nachnamen war.
Anne hielt ihre Verabredung ein; die anderen desgleichen, und natürlich hörte sie am nächsten Morgen, welch wunderbaren Abend sie verlebt hatten. – Sie war die einzige aus der Runde gewesen, die gefehlt hatte, denn Sir Walter und Elizabeth hatten ihrer Ladyschaft nicht nur mit ihrer eigenen Person zu Diensten gestanden, sondern sich obendrein dafür einspannen lassen, noch weitere Gäste herbeizuschaffen, und im Namen ihrer Ladyschaft sowohl Lady Russell als auch Mr. Elliot dazugeladen; und Mr. Elliot war eigens früher von Colonel Wallis aufgebrochen, und Lady Russell hatte ihre sämtlichen Abendverabredungen umgelegt, um ihr ihre Aufwartung zu machen. Von ihr erhielt Anne denn auch eine ausführliche Schilderung all dessen, was ein solcher Abend zubieten vermochte. Das Interessanteste für sie selbst mußte dabei sein, wie häufig zwischen der Freundin und Mr. Elliot die Rede von ihr gewesen war – wie sie erwartet, vermißt und gleichzeitig für den Grund ihres Fernbleibens bewundert worden war. – Ihre liebevollen, anteilnehmenden Besuche bei ihrer kranken, verarmten alten Schulkameradin schienen es Mr. Elliot in höchstem Grade angetan zu haben. Eine ganz und gar einzigartige junge Frau habe er sie genannt, den Inbegriff weiblicher Vortrefflichkeit in Wesen, Auftreten und Geist. Er habe ihre Vorzüge bald noch lebhafter gepriesen als selbst Lady Russell; und Anne konnte solche Kunde nicht vernehmen, konnte sich von einem verständigen Mann nicht so hochgeschätzt wissen, ohne daß fast so viele angenehme Empfindungen in ihr wach wurden, wie ihre Freundin es bezweckte.
Für Lady Russell gab es an Mr. Elliot kein Zweifeln mehr. Daß er über kurz oder lang Annes Hand zu gewinnen hoffte, stand für sie ebenso
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