Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Familienverbindungen gehörten nie leichtfertig drangegeben, gute Gesellschaft war immer erstrebenswert; Lady Dalrymple hatte für drei Monate ein Haus am Laura Place genommen und würde dort glanzvoll residieren. Sie war auch im Jahr zuvor schon in Bath gewesen und sollte, so Lady Russell, eine charmante Frau sein. Es stand sehr zu wünschen, daß an dieBeziehungen wieder angeknüpft würde, sofern man sich seitens der Elliots nicht zuviel vergab.
Sir Walter aber ließ sich nicht ins Handwerk pfuschen und schrieb seiner sehr ehrenwerten Kusine schließlich einen prächtigen Brief voll wortreicher Erklärungen, Bedauernsbekundungen und Bitten. Weder Lady Russell noch Mr. Elliot vermochten ihn gutzuheißen, aber er erfüllte seinen Zweck, indem er der Vicomtesse-Witwe drei gekritzelte Zeilen entlockte: Sie fühle sich geehrt und freue sich, ihre Bekanntschaft zu machen. Die Mühsal des Säens war vorbei, nun galt es, die süßen Früchte zu ernten. Sie sprachen am Laura Place vor, sie brachten die Karten der Vicomtesse-Witwe Dalrymple und der Ehrenwerten Miss Carteret mit heim, um sie möglichst gut sichtbar auszulegen; und »unsere Verwandten am Laura Place« – »unsere Verwandten, Lady Dalrymple und Miss Carteret« wurden gegenüber jedem erwähnt.
Anne schämte sich. Wären Lady Dalrymple und ihre Tochter die angenehmsten Menschen gewesen, hätte es sie immer noch beschämt, daß soviel Wirbel um sie gemacht wurde – aber sie waren ein Nichts. Sie glänzten weder durch erlesene Formen noch durch Bildung oder Verstand. Lady Dalrymples Ruf einer »charmanten Frau« gründete sich darauf, daß sie viel lächelte und jedermann höfliche Antworten gab. Und Miss Carteret, die noch weniger zu sagen hatte, war so linkisch und unscheinbar, daß sie am Camden Place allein aufgrund ihrer Geburt geduldet worden wäre.
Lady Russell räumte ein, daß sie sich mehr erwartet habe, fand die Verbindung aber dennoch »pflegenswürdig«, und als Anne es wagte, Mr. Elliot ihre Meinung über die beiden kundzutun, pflichtete dieser ihr bei, daß sie von sich aus nichts darstellten; aber als Familienbeziehung, als Teil der guten Gesellschaft, die weitere gute Gesellschaft um sich versammeln würde, besäßen sie durchaus ihren Wert. Anne lächelte und erwiderte:
»Meine Vorstellung von guter Gesellschaft, Mr. Elliot, istdie Gesellschaft von gescheiten, gutunterrichteten Menschen, die viel zu erzählen wissen; das ist für mich gute Gesellschaft.«
»Da irren Sie«, sagte er sacht, »das ist nicht gute Gesellschaft, das ist die beste. Gute Gesellschaft fragt nach nichts weiter als nach Geburt, Bildung und Kinderstube, und mit der Bildung nimmt sie es nicht zu genau. Bei Geburt und Kinderstube duldet sie keine Abstriche, aber ein bißchen Halbwissen ist keineswegs ein ›gefährlich’ Ding‹ in guter Gesellschaft, im Gegenteil, es erfüllt seinen Zweck bestens. Meine Kusine Anne schüttelt den Kopf. Sie ist nicht überzeugt. Sie ist anspruchsvoll. Meine liebe Kusine« (er nahm neben ihr Platz), »Sie haben mehr Recht, anspruchsvoll zu sein, als fast alle anderen Frauen, die ich kenne; aber steht es dafür? Wird es Sie froh machen? Ist es nicht klüger, die Gesellschaft dieser guten Damen am Laura Place hinzunehmen und ihre Vorteile so weit zu nutzen wie möglich? Verlassen Sie sich darauf, sie werden sich diesen Winter in den ersten Kreisen von Bath bewegen, und da Rang nun einmal Gewicht hat, wird das Wissen um Ihre Verwandtschaft mit ihnen dazu beitragen, Ihrer Familie (unserer Familie, darf ich vielleicht sagen) den Grad an Beachtung zu sichern, an dem uns allen gelegen sein muß.«
»Ja«, seufzte Anne, »und daß wir verwandt sind, weiß gottlob ja jeder!« – worauf sie sich besann und, um einer Entgegnung vorzubeugen, hinzufügte: »Zumindest finde ich, es ist viel zuviel Aufwand getrieben worden, um die Bekanntschaft herbeizuführen. Ich fürchte fast« (mit einem Lächeln), »ich habe mehr Stolz als irgendeiner von euch; denn ich muß zugeben, es ärgert mich, daß wir dermaßen um eine Verbindung buhlen, von der feststeht, daß sie der anderen Seite gleichgültiger nicht sein könnte.«
»Verzeihen Sie, meine liebe Kusine, Sie spielen Ihren Wert zu sehr herunter. In London könnte es sich bei Ihrem derzeitigen zurückgezogenen Lebensstil vielleicht so verhalten, wie Sie sagen; aber in Bath werden Sir Walter Elliot undseine Familie immer ein gesuchter Umgang und eine schätzenswerte Bekanntschaft sein.«
»Nun«,
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