Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Schluß mit den Spekulationen darüber, ob Captain Benwick ein Verehrer von Dir ist oder nicht. Wie Charles auf so eine Idee verfallen konnte, war mir von Anfang an unbegreiflich. Ich hoffe, er wird ab jetzt weniger rechthaberisch sein. Eine blendende Partie für Louisa Musgrove ist es sicher nicht, aber eine Million Mal besser, als wenn sie eine Hayter würde.«
Marys Sorge, die Nachricht könnte ihre Schwester nicht hinreichend verblüffen, war unnötig; Anne war in ihrem Leben nicht so überrumpelt gewesen. Captain Benwick und Louisa Musgrove! Es war fast zu wundersam, um wahr zu sein; und es kostete sie die größte Selbstbeherrschung, im Zimmer zu bleiben und mit dem Anschein der Gelassenheit auf alle Fragen zu antworten. Zu ihrem Glück waren es nicht viele. Sir Walter wollte wissen, ob die Crofts vierspännig reisten und ob ihr Quartier in Bath wohl in einer Lage zu vermuten sei, in der Miss Elliot und seiner Person ein Besuch zugemutet werden konnte; aber darüber hinaus zeigte er wenig Neugier.
»Wie geht es Mary?« sagte Elizabeth, und ohne eine Antwort abzuwarten: »Und was führt die Crofts nach Bath, wenn man fragen darf?«
»Sie kommen des Admirals wegen. Man vermutet die Gicht bei ihm.«
»Gichtkrank und klapprig!« sagte Sir Walter. »Der arme alte Herr.«
»Haben sie hier denn Verbindungen?« erkundigte Elizabeth sich.
»Ich weiß es nicht; aber es sollte mich wundern, wenn der Admiral in seinem Alter und bei seinem Beruf keinen großen Bekanntenkreis hier in Bath hätte.«
»Ich möchte annehmen«, sagte Sir Walter kühl, »daß Admiral Croft in Bath vor allem als der Mieter von KellynchHall bekannt sein dürfte. Was meinst du, Elizabeth, ob wir uns wohl erlauben können, ihn und seine Gattin am Laura Place einzuführen?«
»O nein, besser nicht. Als Lady Dalrymples Verwandte sollten wir uns hüten, sie durch eine Bekanntschaft in Verlegenheit zu setzen, die ihr möglicherweise kompromittierend erscheint. Wenn wir in einem anderen Verhältnis zu ihr stünden, würde es vielleicht nicht so schwer wiegen, aber da wir verwandt mit ihr sind, hätte ein Vorschlag von uns sicher Gewicht bei ihr. Nein, lassen wir die Crofts ihren Platz unter ihresgleichen finden. Man sieht ja öfter seltsame Gestalten in den Straßen, die, wie ich höre, Seeleute sind. Die Crofts werden mit ihnen verkehren!«
Das war das Ausmaß von Sir Walters und Elizabeths Anteilnahme an dem Brief; und nachdem Mrs. Clay der Form etwas mehr Genüge getan und sich nach Mrs. Charles Musgrove und ihren prächtigen kleinen Söhnen erkundigt hatte, war Anne endlich entlassen.
In ihrem Zimmer versuchte sie die Nachricht zu begreifen. Zu Recht fragte Charles danach, was wohl Captain Wentworth empfand! Hatte er das Feld geräumt, hatte er auf Louisa verzichtet, hatte er aufgehört, sie zu lieben, oder erkannt, daß er sie nicht liebte? Jeder Gedanke an Hinterlist oder Leichtfertigkeit, an irgendeinen Vertrauensbruch zwischen ihm und dem Freund schien ihr unerträglich – unerträglich zu denken, daß eine Freundschaft wie die ihre auf unschöne Weise entzweiging.
Captain Benwick und Louisa Musgrove! Die lebhafte, fröhliche, redelustige Louisa Musgrove und der mutlose, grüblerische, tieffühlende, bücherliebende Captain Benwick – zwei unvereinbarere Naturen schienen kaum denkbar. So grundverschieden in ihrem Wesen! Worin konnte die Anziehung bestanden haben? Die Antwort lag auf der Hand: in der Gelegenheit. Sie hatten einige Wochen eng zusammengelebt, als Teil desselben kleinen Familienkreises; seit Henriettas Abreisehatten sie fast nur einander gehabt; Louisa, die langsam Genesende, hatte sich in einer interessanten Verfassung befunden, und Captain Benwick war nicht untröstbar. Dieses letzte hatte Anne ja zuvor schon geargwöhnt; und statt aus der neuen Entwicklung das gleiche zu folgern wie Mary, sah sie sich eher bestärkt in ihrer Vermutung, daß er sich ein wenig zu ihr hingezogen gefühlt hatte. Sie wollte darin freilich keinen größeren Tribut an ihre Person sehen, als es Mary recht sein konnte. Jeder leidlich passablen jungen Frau, die ihm zuhörte und ihm das Gefühl gab, mit ihm zu fühlen, wäre wohl die gleiche Ehre widerfahren. Er hatte ein zärtliches Herz. Er mußte jemanden lieben.
Sie wußte keinen Grund, warum sie nicht glücklich werden sollten. An Begeisterung für die Seefahrt fehlte es Louisa schon einmal nicht, und sie würden sich bald ähnlicher werden. Er würde Fröhlichkeit dazulernen, und sie
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