Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
ganz nah bei Ihnen gesessen sein, denn da Sie mit Lady Dalrymple dort waren, saßen Sie natürlich auf den Ehrenplätzen: rund um das Orchester, versteht sich.«
»Nein, das war das, was ich befürchtet hatte. Es wäre mir in jeder Hinsicht unangenehm gewesen. Aber glücklicherweisezieht Lady Dalrymple es vor, etwas weiter weg zu sitzen, und so hatten wir ausgezeichnete Plätze – zum Hören, meine ich, fürs Sehen ja offenbar nicht, denn ich scheine extrem wenig gesehen zu haben.«
»Ach! Sie haben genug zu Ihrer eigenen Zufriedenheit gesehen. – Das verstehe ich bestens. Es kann auch in der Menge eine Art Privatheit geben, und die haben Sie genossen. Sie waren mit einer großen Gruppe da, Sie waren sich selbst genug.«
»Aber ich hätte mich mehr umblicken sollen«, sagte Anne schuldbewußt, denn an Blicken von ihrer Seite hatte ja kein Mangel geherrscht; nur an Gegenstand hatte es ihnen gefehlt.
»Nein, nein, Sie hatten Besseres zu tun. Sie brauchen mir nicht zu sagen, daß Sie einen angenehmen Abend verbracht haben. Ich sehe es in Ihren Augen. Ich sehe ganz genau, wie die Stunden für Sie vergangen sind – daß es immer etwas Erfreuliches für Sie zu hören gab. Wenn die Musik geschwiegen hat, war es die Unterhaltung.«
Anne lächelte halb und sagte: »Das sehen Sie in meinen Augen?«
»Ja. Ihr Gesicht verrät mir ohne jeden Zweifel, daß Sie den gestrigen Abend in Gesellschaft der Person verbracht haben, die für Sie die angenehmste Gesellschaft der Welt darstellt – die Sie momentan mehr fesselt als die ganze restliche Welt zusammengenommen.«
Röte überflutete Annes Wangen. Sie konnte nichts erwidern.
»Und da das so ist«, fuhr Mrs. Smith nach einer kurzen Pause fort, »müssen Sie mir bitte glauben, wie überaus verbunden ich Ihnen für die Güte bin, die Sie mir mit Ihrem Besuch erweisen. Es ist wirklich mehr als freundlich von Ihnen, daß Sie herkommen und bei mir sitzen, wo Ihre Zeit doch von so viel annehmlicheren Dingen in Anspruch genommen werden könnte.«
Anne hörte nichts von alledem. Sie war zu verblüfft und verwirrt, sich in diesem Maße durchschaut zu finden; vergebens rätselte sie, auf welchem Wege ihre Freundin von Captain Wentworth erfahren haben mochte. Nach einem neuerlichen kurzen Schweigen –
»Sagen Sie«, hob Mrs. Smith wieder an, »ist Mr. Elliot über Ihre Bekanntschaft mit mir denn unterrichtet? Weiß er, daß ich in Bath bin?«
»Mr. Elliot!« wiederholte Anne und sah verdutzt auf. Ein paar Sekunden der Besinnung, dann begriff sie den Irrtum, dem sie erlegen war. Eilig fing sie sich wieder; und da mit dem Gefühl der Sicherheit auch der Mut zurückkam, setzte sie gleich darauf, deutlich gefaßter, hinzu: »Heißt das, Sie kennen Mr. Elliot?«
»Ich war einmal eng mit ihm bekannt«, antwortete Mrs. Smith herb, »aber diese Zeiten sind offenbar vorbei. Es ist lange her, daß wir uns zuletzt gesehen haben.«
»Davon hatte ich keine Ahnung. Sie haben es noch nie erwähnt. Wenn ich das gewußt hätte, dann hätte ich das Vergnügen gehabt, mit ihm von Ihnen zu reden.«
»Um die Wahrheit zu gestehen«, sagte Mrs. Smith, nun wieder in ihrem üblichen heiteren Ton, »das ist genau das Vergnügen, das ich Ihnen verschaffen möchte. Ich möchte, daß Sie mit Mr. Elliot über mich sprechen. Ich möchte, daß Sie Ihren Einfluß auf ihn geltend machen. Er kann mir einen ganz erheblichen Dienst erweisen, und wenn Sie die Güte hätten, meine liebe Miss Elliot, es zu Ihrer Sache zu machen, wäre das der sicherste Weg.«
»Ich täte nichts lieber – und ich hoffe, Sie zweifeln nicht an meiner Bereitschaft, mich auf jede nur erdenkliche Art für Sie zu verwenden«, entgegnete Anne, »aber ich fürchte, Sie schreiben mir einen höheren Anspruch auf Mr. Elliot zu – ein größeres Recht, auf ihn einzuwirken, als dies tatsächlich der Fall ist. Auf irgendeinem Wege muß Ihnen etwas Dahingehendes zu Ohren gekommen sein, scheint es mir. Sie dürfenmich lediglich als eine Verwandte von Mr. Elliot betrachten. Wenn es in diesem Lichte irgend etwas gibt, von dem Sie meinen, daß seine Kusine es billigerweise von ihm erbitten könnte, dann lassen Sie es mich unbedingt wissen.«
Mrs. Smith sah sie forschend an, ehe sie mit einem Lächeln sagte:
»Ich merke, daß ich ein wenig voreilig war. Bitte verzeihen Sie mir. Ich hätte warten sollen, bis es offiziell ist. Aber, meine liebe Miss Elliot, geben Sie mir als einer alten Freundin doch einen kleinen Wink, wann ich wohl sprechen darf.
Weitere Kostenlose Bücher