Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Welt sein muß – und verlassen Sie sich drauf, Ihr gesamter Bekanntenkreis hat längst auf die gleiche Weise über Sie verfügt. Aber davon sprechen hören habe ich erstmals vor zwei Tagen.«
»Es wird also tatsächlich davon gesprochen?«
»Haben Sie die Frau bemerkt, die Ihnen gestern die Tür aufgemacht hat?«
»Nein. War es nicht Mrs. Speed, wie sonst auch, oder das Hausmädchen? Mir ist niemand im besonderen aufgefallen.«
»Es war meine Freundin Mrs. Rooke – Schwester Rooke, die nebenbei bemerkt ganz begierig darauf war, Sie zu Gesicht zu bekommen, und sehr froh darüber, zur Stelle zu sein, um Sie hereinzulassen. Sie hatte gerade vorigen Sonntag ihren letzten Tag in den Marlborough Buildings, und sie war es auch, die mir erzählt hat, daß Sie Mr. Elliot heiraten. Sie hatte es von Mrs. Wallis persönlich, was mir nicht dieschlechteste Quelle zu sein schien. Sie war am Montagabend für eine Stunde bei mir, und durch sie habe ich die ganze Geschichte erfahren.«
»Die ganze Geschichte!« wiederholte Anne mit einem Lachen. »Eine sehr lange Geschichte kann sie kaum daraus gemacht haben, bei solch einem gegenstandslosen kleinen Gerücht.«
Mrs. Smith sagte nichts.
»Aber«, fuhr Anne gleich darauf fort, »auch wenn ich keinen Anspruch dieser Art auf Mr. Elliot erheben darf, helfe ich Ihnen natürlich mit Freuden, wie immer ich kann. Soll ich ihm sagen, daß Sie in Bath sind? Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Nein, besten Dank; nein, auf gar keinen Fall. Im Eifer des Gefechts, und unter einem fälschlichen Eindruck, hätte ich mich vielleicht unterfangen, Ihnen eine gewisse Angelegenheit nahebringen zu wollen. Aber nicht jetzt; nein, ich danke Ihnen, es gibt nichts, womit ich Sie behelligen muß.«
»Sie kennen Mr. Elliot seit vielen Jahren, sagten Sie?«
»Das stimmt.«
»Aber nicht schon vor seiner Heirat?«
»Doch, er war noch ledig, als ich ihn kennenlernte.«
»Und waren Sie gut miteinander bekannt?«
»Sehr gut.«
»Wirklich? Dann bitte, verraten Sie mir doch, wie war er damals? Ich wüßte zu gern, was Mr. Elliot in seiner Jugend für ein Mensch war. War er da schon der Mann, als den wir ihn heute kennen?«
»Ich habe Mr. Elliot seit drei Jahren nicht mehr gesehen«, antwortete Mrs. Smith in so abweisendem Ton, daß es unmöglich war, das Thema weiterzuverfolgen; und Anne hatte das Gefühl, an nichts dazugewonnen zu haben als an Neugierde. Beide schwiegen sie – Mrs. Smith zutiefst nachdenklich. Endlich aber rief sie:
»Bitte verzeihen Sie, meine liebe Miss Elliot« – wieder mitall ihrer natürlichen Herzlichkeit – »bitte verzeihen Sie mir meine Kurzangebundenheit, aber ich war mir unsicher, wie ich weiter verfahren soll. Ich habe hin und her überlegt, wieviel ich Sie wissen lassen sollte. Es galt so vieles gegeneinander abzuwägen. Man will ja nicht aufdringlich wirken oder schlecht über andere reden, man will kein Unheil stiften. Selbst der oberflächliche Anschein familiärer Eintracht ist schließlich bewahrenswert, ob sich darunter etwas Echtes verbirgt oder nicht. Aber mein Entschluß ist gefaßt, und ich glaube, es ist der richtige; ich glaube, Sie sollten erfahren, was für ein Mensch der wahre Mr. Elliot ist. Derzeit hegen Sie keinerlei Absicht, seinen Antrag anzunehmen, davon haben Sie mich überzeugt – aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Irgendwann könnten sich Ihre Gefühle vielleicht ja doch ändern. Darum sollen Sie die Wahrheit über ihn jetzt hören, solange Sie unvoreingenommen sind. Mr. Elliot ist ein Mann ohne Herz oder Gewissen, berechnend und stets auf der Hut, ein kaltblütiger Mensch, der nur an sich selbst denkt und der, wenn es nur seinem Vorteil oder seinem Wohlbefinden dient, vor keiner Grausamkeit, keiner Hinterhältigkeit zurückschreckt, vorausgesetzt, sie läßt sich begehen, ohne daß sein Ruf Schaden nimmt. Er kennt keine Rücksicht auf andere. Er kann Leute in den Ruin stürzen und sie dann vernachlässigen und im Stich lassen, ohne daß ihm eine Sekunde das Gewissen schlägt. Jeglicher Gerechtigkeitssinn, jegliches Mitleid sind ihm fremd. Oh! sein Herz ist schwarz, hohl und schwarz!«
Annes perplexe Miene und ihr Ausruf des Erstaunens ließen sie innehalten, und beherrschter fuhr sie fort:
»Meine Heftigkeit erschreckt Sie. Haben Sie Nachsicht mit einer verletzten, zornerfüllten Frau. Aber ich will versuchen, mich zu mäßigen. Ich will ihn nicht beschimpfen. Ich werde Ihnen einfach erzählen, als was ich ihn kennengelernt habe. Die
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