Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Tatsachen sollen für sich sprechen. Er war der enge Freund meines lieben Mannes, der ihm vertraute undihn liebte und ihn für so gutherzig hielt, wie er selber es war. Die Freundschaft bestand schon vor unserer Heirat, ich lernte sie als die besten Freunde kennen, und auch ich war ganz außerordentlich angetan von Mr. Elliot und hatte die höchste Meinung von ihm. Mit neunzehn sieht man die Dinge ja noch nicht so ernsthaft, aber Mr. Elliot kam mir gerade so gut wie alle anderen vor, und bedeutend einnehmender als die meisten, und wir waren fast immer zusammen. Wir wohnten vorwiegend in London und lebten in sehr gutem Stil. Er war damals der schlechter Situierte, er war der Mittellose; er hatte Zimmer bei der Advokateninnung, und das war auch schon alles, womit er den Anschein der Vornehmheit wahren konnte. Er fand bei uns ein Zuhause, wann immer er es wünschte, er war immer willkommen, er war wie ein Bruder für uns. Mein armer Charles, der der prächtigste, großzügigste Mensch der Welt war, hätte seinen letzten Penny mit ihm geteilt, und ich weiß, daß seine Geldbörse ihm offenstand, ich weiß, daß er ihm oft ausgeholfen hat.«
»Das muß genau der Abschnitt in Mr. Elliots Leben sein«, sagte Anne, »der meine Neugier immer am meisten gereizt hat. Etwa um die Zeit müssen mein Vater und meine Schwester mit ihm bekannt geworden sein. Ich habe ihn damals nicht kennengelernt, ich habe nur von ihm erzählen hören, aber es war etwas an seinem Benehmen gegenüber meinem Vater und meiner Schwester, und dann später an den Umständen seiner Heirat, was für mich nie ganz zu seinem jetzigen Auftreten paßte. Es schien einen völlig anderen Menschen zu offenbaren.«
»Ich weiß es, ich weiß es alles«, rief Mrs. Smith. »Er war Sir Walter und Ihrer Schwester vorgestellt worden, bevor ich ihn kennenlernte, aber er redete ständig über sie. Ich weiß, daß er eingeladen worden war, nachdrücklichst eingeladen, und ich weiß, daß er tunlichst wegblieb. Ich kann Ihre Wißbegierde in einem Ausmaß befriedigen, mit dem Sie wohl niemals gerechnet hätten; und was seine Eheschließung angeht, so warich auch darüber genauestens im Bilde. Ich war in das gesamte Für und Wider eingeweiht, ich war die Freundin, der er seine Hoffnungen und Pläne anvertraute, und auch wenn ich seine Frau vorher nicht gekannt hatte (daran wäre bei ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht zu denken gewesen), kannte ich sie doch ihr gesamtes restliches Leben, oder zumindest bis hinein in ihre beiden letzten Lebensjahre, und kann Ihnen Auskunft zu allem geben, was Sie beschäftigt.«
»Nein«, sagte Anne, »zu ihr habe ich keine besonderen Fragen. Ich habe immer gehört, daß sie kein glückliches Paar waren. Aber ich wüßte doch gerne, was ihn in dieser Phase seines Lebens dazu getrieben hat, meinen Vater so zu brüskieren. Mein Vater war mehr als gewillt, ihm alle gebotene Aufmerksamkeit und Freundlichkeit zu bezeigen. Warum wollte Mr. Elliot nichts von ihm wissen?«
»Mr. Elliot«, erwiderte Mrs. Smith, »hatte zu dieser Zeit nur ein Ziel vor Augen – nämlich zu Reichtum zu gelangen, und zwar auf schnellerem Weg als durch die Juristerei. Er war entschlossen, sein Glück durch Heirat zu machen. Zum mindesten sollte ihm keine unkluge Heirat dabei im Wege stehen, und ich weiß, daß er der Meinung war (ob zu Recht oder nicht, darüber kann ich mir kein Urteil anmaßen), daß Ihr Vater und Ihre Schwester mit ihren Artigkeiten und ihren Einladungen eine Ehe zwischen dem Erben und der jungen Dame zu stiften gedachten; und eine solche Ehe konnte seinen Vorstellungen von Wohlstand und Unabhängigkeit natürlich nie und nimmer gerecht werden. Glauben Sie mir, nur das war der Grund für seinen Rückzug. Er hat mir die ganze Geschichte erzählt. Bei mir hielt er mit nichts hinterm Berg. Welch sonderbare Fügung: gerade erst hatte ich Sie in Bath zurückgelassen, und mein erster und engster Bekannter nach meiner Hochzeit wird ausgerechnet Ihr Vetter – durch den ich auch noch unausgesetzt von Ihrem Vater und Ihrer Schwester hörte. Er beschrieb mir eine Miss Elliot, und ich dachte voller Zuneigung an die andere!«
»Kann es vielleicht sein«, fragte Anne in plötzlichem Begreifen, »daß Sie Mr. Elliot manchmal von mir erzählt haben?«
»Gewiß habe ich das, sehr oft sogar. Ich habe mit meiner eigenen Anne Elliot geprahlt und mich dafür verbürgt, daß Sie ein völlig anderes Geschöpf seien als …«
Sie gebot sich gerade noch
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