Anne Elliot oder die Kraft der Ueberredung
Anne konnte nicht ablehnen; doch nie hatte sie auf dem Altar der Höflichkeit ein schwereres Opfer dargebracht.
Ein paar Minuten, wenn auch keine länger als unbedingt nötig, mußten darüber wohl oder übel hingehen; und als sie wieder ihre eigene Herrin war und sich nach vorn wenden konnte, empfing Captain Wentworth sie mit einem reservierten, aber hastigen Lebewohl: Er müsse ihr eine gute Nacht wünschen. Er sei im Aufbruch – er müsse so rasch wie nur möglich heim.
»Lohnt denn dieses Lied nicht zu bleiben?« fragte Anne, urplötzlich von einer Idee gestreift, die ihr Ermutigung noch angelegener sein ließ.
»Nein!« erwiderte er nachdrucksvoll, »es gibt nichts, wofür sich zu bleiben lohnte« – sprach’s und ging.
Eifersucht auf Mr. Elliot! Eine andere Erklärung konnte es nicht geben. Captain Wentworth ihretwegen eifersüchtig! Hätte ihr das jemand vor einer Woche prophezeit – vor drei Stunden noch! Einen Augenblick lang war es eine himmlische Befriedigung. Doch ach! sehr andere Gedanken folgten auf dem Fuß. Wie ließ sich diese Eifersucht beschwichtigen? Wie konnte ihm die Wahrheit begreiflich gemacht werden? So wie ihnen beiden die Hände gebunden waren, wie sollte er je ihre wahren Gefühle erfahren? Verzweiflung packte sie, wenn sie an Mr. Elliots Avancen dachte. – Der Schaden war unabsehbar.
KAPITEL IX
Am Morgen darauf entsann Anne sich nur zu gern ihres versprochenen Besuchs bei Mrs. Smith, da er sie zu der Zeit außer Haus führen würde, zu der am ehesten mit Mr. Elliot zu rechnen war; und Mr. Elliot aus dem Weg zu gehen, war nun fast ihr höchstes Ziel.
Sie dachte mit großem Wohlwollen an ihn. Soviel Unheil seine Aufmerksamkeiten auch angerichtet haben mochten, schuldete sie ihm doch Dankbarkeit und Achtung, vielleicht sogar Mitgefühl. Ihre Bekanntschaft war von solch außergewöhnlichen Zufällen geprägt; alles schien ihm so viel Anrecht auf ihre Sympathie zu geben: die äußeren Umstände, sein eigenes Fühlen, sein vorgefaßtes Interesse. Es war wirklich höchst außergewöhnlich. – Schmeichelhaft, aber schmerzlich. Sie hatte viel zu bedauern. Wie es um ihre Neigung bestellt gewesen wäre, wenn es keinen Captain Wentworth gegeben hätte – diese Frage erübrigte sich, denn es gab einen Captain Wentworth, und ihr Herz gehörte auf immer ihm, ob nun die gegenwärtige Ungewißheit einen guten Ausgang nahm oder einen schlechten. Ihr Zusammenkommen, so glaubte sie, konnte sie nicht gründlicher von anderen Männern trennen, als ein endgültiger Abschied es täte.
Holdere Träumereien von tiefgefühlter Liebe und ewiger Treue dürften kaum je durch die Straßen von Bath spazierengetragen worden sein, als Anne sie mit sich vom Camden Place zu den Westgate Buildings trug. Die Luft ringsum hätte nur so geschwängert sein müssen von Weihe und Wohlgeruch.
Sie wurde mit gewohnter Liebenswürdigkeit empfangen; ja die Freundin schien ihr an diesem Morgen ganz besonders für ihr Kommen verbunden, schien fast nicht damit gerechnet zu haben, obwohl es fest ausgemacht gewesen war.
Eine Schilderung des Konzerts wurde sogleich eingefordert; und Annes Erinnerungen an das Konzert waren durchaus glücklich genug, um sie der Bitte freudig und mit angeregter Miene nachkommen zu lassen. Alles, was sie berichten konnte, berichtete sie bereitwilligst; doch ihr Alles war wenig dafür, daß sie selbst dortgewesen war, und ungenügend für eine Zuhörerin wie Mrs. Smith, die auf dem Abkürzungsweg über eine Waschfrau und eine Aufwärterin schon mehr über den allgemeinen Verlauf und Erfolg des Abends vernommen hatte, als Anne ihr erzählen konnte, und die sich nun vergeblich nach diversen gesellschaftlichen Einzelheiten erkundigte. Wer immer in Bath in irgendeiner Weise berühmt oder berüchtigt war, dem Namen nach kannte Mrs. Smith sie alle.
»Die kleinen Durands waren doch sicher da«, sagte sie, »mit offenen Mündern, um sich keinen Ton entgehen zu lassen, wie Spatzenjungen, die auf ihr Futter warten. Sie versäumen nie ein Konzert.«
»Ja. Ich habe sie zwar nicht gesehen, aber ich habe Mr. Elliot sagen hören, daß sie da seien.«
»Die Ibbotsons – waren sie da? Und die beiden neuen Schönheiten mit dem hochgewachsenen irischen Offizier, der einer von ihnen zugedacht sein soll?«
»Ich weiß nicht – ich glaube nein.«
»Die alte Lady Mary Maclean? Nach der brauche ich wohl kaum zu fragen. Sie läßt kein Konzert aus, das weiß ich, und Sie haben sie auf alle Fälle gesehen. Sie muß
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