Anne Frasier
konnte er jemanden respektieren, der mit guter Musik nichts anfangen konnte? Was sollte er machen, wenn er ein Mädchen traf und sich verliebte ... aber sie hörte Dreck? Könnte er sie heiraten? Könnte er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen?
»Jetzt wollen wir gerade zu einer Aufführung im Quest-Theater«, sagte einer von den anderen, Brent. »Willst du mit?«
»Wer spielt?«
»Ich weiß nicht. Wir dachten einfach, es wäre was zu tun. Wir wollen von Pasqual oder Donnie Issak ein bisschen Wodka. Wir haben genug Asche für eine kleine Flasche.«
»Ich kann nicht.«
»Komm schon, Mann. Hast du nicht bald Schluss? Wir sind extra vorbeigekommen, um dich zu fragen.«
»Ja, aber mein Alter holt mich ab.«
Brent lachte. »Ach ja, stimmt. Du hast Hausarrest. Hab ich vergessen. Wie doof.«
»Wenn das so doof ist, warum lachst du dann?«
»Ich hab bloß dran gedacht, wie besoffen du warst. Du warst echt komisch. Ich hab mich fast bepisst. Ich wusste nicht, dass du so verflucht komisch sein kannst.«
Ethan konnte sich unscharf daran erinnern, dass er auf irgendein Auto geklettert war. Er hatte seine Hose ausgezogen und die Beine um seinen Hals geknotet wie ein Cape und Sachen gebrüllt wie: »Ich bin der König der Welt!« Als er daran zurückdachte, errötete er. Die Sache mit dem Cape war schlimm genug, er hoffte, dass er nicht noch peinlichere Sachen gemacht hatte.
Scheinwerfer erhellten plötzlich das Innere des kleinen Ladens. Als sie erloschen, konnte Ethan den Wagen erkennen. »Ruhe jetzt«, sagte er zu Brent. »Mein Vater ist da.«
»Hey, ihr«, rief Brent zu den anderen. »Ethans Papa holt ihn ab.«
10
Früher war dreizehn seine Glückszahl gewesen. Aber in letzter Zeit tauchte immer wieder die zweiundzwanzig auf. Immer wenn er auf die Uhr schaute, war es irgendwas-zweiundzwanzig. 14:22, 17:22, 19:22. In der Art. Neulich hatte er ein Sandwich und eine Cola gekauft, und die kosteten 6,22. Dann holte er sich eine Zeitung, und vorne drauf war ein Foto eines Unfall-Busses. Und welche Nummer hatte der? Zweiundzwanzig. Und dann kam er darauf, dass seine Hausnummer 7852 war. Die Quersumme davon war zweiundzwanzig ...
Ein dumpfer Schlag von oben ließ ihn zusammenzucken. Sie war wach. Bald würde sie anfangen, nach ihm zu rufen, was von ihm zu wollen.
Er konnte sie durch die Bodendielen riechen. Ihr Gestank erfüllte das ganze Haus. Duschte sie denn gar nicht mehr? Er glaubte nicht. Andererseits war das auch wieder gut, denn so war er der Einzige, der die Dusche benutzte. Die Vorstellung, dass jemand anders dort gewesen war, dass ihre Haare an der Seife und dem Fiberglas klebten, ekelte ihn. Er konnte es nicht ertragen, zu wissen, dass sie unsichtbare Hautreste zurückließ, zusammen mit ihrem Gestank. Da war es viel besser, wenn nur er duschte.
Warum hatte sie ihn immer gehasst?
Drecksjunge.
Dreckiger Drecksjunge.
Er erinnerte sich an das erste Mal, wo ihm klar geworden war, dass sie anders war als die anderen Mütter... und dass er anders war als die anderen Kinder.
Vorschule.
Das Wort allein jagte ihm einen kalten Schauer über die Haut.
Sie hatte ihn zu dem großen Ziegelschulhaus gebracht, ihre schweißige Hand schluckte seine, sie zerrte ihn hinter sich her, er versuchte mit seinen kleinen Beinchen aufzuholen, die Angst erzeugte einen sauren Geschmack an seinem Gaumen.
Seine Beine waren fast zu kurz, um die Treppe hochzugehen, aber sie wurde nicht langsamer. »Komm jetzt. Bringen wir's hinter uns«, sagte sie und zog an ihm, riss ihm den Arm fast aus der Schulter. Kaum waren sie eingetreten, empfand er sich als Fremdling. Und dieses Gefühl verließ ihn nie mehr.
Frauen - andere Mütter - sahen sie an, schauten schnell weg. Manche hoben die Hände vor ihr Gesicht, bedeckten Mund und Nase. Manche traten zurück, um sie durchzulassen, als fürchteten sie, er oder seine Mutter könnten sie berühren.
Er trug eine kurze rote Hose und ein rot-weiß gestreiftes T-Shirt, das nicht einmal seinen Bauch bedeckte. An seiner kurzen Hose klebte »Scheiß«, wie seine Mutter es genannt hatte, und seine Füße in den verblassten, halb zerfetzten Flip-Flops waren dreckverkrustet.
Seine Mutter trug das, was sie immer anzog, wenn sie überhaupt etwas anzog, eine enge Frotteeshorts und ein ärmelloses Top. Schwarze, borstige Haare ragten unter ihren Achseln heraus. Sie war ihm immer groß erschienen - sie war seine Mutter aber jetzt bemerkte er, dass sie dreimal so groß war wie die anderen Frauen, die
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