Anne Frasier
zu erarbeiten, ohne dass man auch noch derartig bloßgestellt wurde.
Und deshalb schrieb er jetzt, er schlug wütend und kraftvoll auf die Tasten und fragte sich, ob er jemals eine anständige Story zu fassen bekäme, ob er den richtigen Beruf gewählt hatte. Aber mit vier Jahren Studentendarlehen im Rücken musste er dabeibleiben. Selbst wenn es falsch war. Selbst wenn er einen Fehler gemacht hatte. Das war das
Schreckliche an der Uni. Man musste sich entscheiden — eigentlich musste man erraten -, was man mit dem Rest seines Lebens anfangen wollte. Es war wie ein Würfelspiel, denn die Chance war groß, dass man es falsch machte, sehr groß. Und wenn man nicht unermesslich reich war, dann gab es danach kein Zurück mehr.
Immer öfter dachte Alex, dass er einen Fehler gemacht hatte. Und es fiel ihm schwer, damit klarzukommen. Dieses Gefühl, dass man nirgendwo hingehörte, dieses Was-zum-Teufel-treibe-ich-eigentlich-hier-Gefühl zunehmender Verzweiflung.
Alex gab seiner Story einen Namen in der Datenbank: Abraham Sinclair.
Er starrte den Artikel immer noch an, als sein Desk Advisor vorbeikam.
Vor Jahren hatte der Herald einen neuen Geschäftsführer engagiert und tiefgreifende Strukturveränderungen vorgenommen. In dieser Zeit war irgendein Idiot auf die Idee gekommen, alle Berufsbezeichnungen zu ändern. Also verschwanden die militärisch klingenden Titel wie »Chef« und »Leiter«.
Jetzt waren alle »Director« und »Advisor« und »Overseer«.
Sie hatten die Redakteure aus der Redaktion herausredigiert.
Der Name seiner »Beraterin« war Maude Cunningham. Maude hatte, als sie jünger gewesen war, wahrscheinlich scharf ausgesehen. Sie konnte alles zwischen sechzig und siebzig sein. Sie hatte hier angefangen, als die Zeitung ein von Männern dominiertes Schiff war und Reporterinnen knallhart und gnadenlos sein mussten. Sie rauchte, und Alex vermutete, dass sie auch soff, denn sie sah aus wie eine Backpflaume, und das taten Leute, die jahrzehntelang tranken. Ihre Stimme war ein raues Raspeln, und die Luft, die aus ihren Lungen drang, roch muffig und verbraucht wie die eines
Mausoleums. Alex vermutete, dass sie nur eine Röntgenaufnahme von der Diagnose Lungenkrebs entfernt war.
»Das können wir nicht drucken.« Sie hockte sich auf die Ecke seines Schreibtisches und klopfte mit einem langen roten Fingernagel gegen ihren vergilbten Schneidezahn.
Alex las den Artikel noch einmal.
Es war eine zügellose Schimpftirade, voller Adjektive und Wertungen, die Sinclairs bösartiges Benehmen Alex gegenüber beschrieben. In dem ganzen Artikel steckte nicht ein berichtenswertes Fitzelchen Information.
»War bloß ein Versuch.«
Er drückte den Löschknopf, dann versuchte er, das Programm zu beenden, aber die Software ließ ihn nicht so leicht vom Haken.
Möchten Sie die Datei Abraham Sinclair speichern?
Die Frage blinkte ihn an.
Er drückte auf den »Nein«-Knopf und löschte seinen Artikel.
»Ich würde gern mehr über Sinclair herausfinden, zum Beispiel, was er mit den Madonna-Morden zu tun hatte«, sagte er.
»Soll das ein Rachestück werden? So was drucken wir nicht. Ich möchte nicht, dass Sie die Zeitung für Ihre persönliche Vendetta benutzen. Sie müssen sich eine dickere Haut zulegen, wenn Sie in diesem Geschäft bleiben wollen. Jeden Tag werden Sie Leute treffen, die Sie nicht kennen, Sie aber von vornherein hassen, weil Sie Zeitungsreporter sind. Denn Schreiber haben Macht. Missbrauchen Sie diese Macht nicht. Gehen Sie ruhig ins Archiv, aber lassen Sie Sinclair in Ruhe. Ich kann Ihnen schon sagen, dass er damals die Madonna-Ermittlungen geleitet hat. Hat ihn seine Ehe gekostet, und am Ende musste er in ein Reha-Zentrum in Minneapolis, um trocken zu werden. Versuchen Sie mal einen Augenblick, die Sache aus seiner Warte zu sehen. Dann hassen Sie ihn vielleicht nicht mehr ganz so sehr.«
»Ich habe also Ihre Genehmigung, herauszukriegen, was ich finden kann?«
»Ich möchte, dass Sie etwas haben, falls wir es brauchen. Wenn noch mehr Morde geschehen, oder wenn die Polizei eine solide Verbindung zwischen diesen neuen Fällen und den Madonna-Morden etabliert. In der Zwischenzeit kümmern Sie sich um die Sache, ohne sich die ganze Polizei zum Feind zu machen.« Sie lächelte ihn in ihrer toughen Ich-mag-dich-Art an. »Ich weiß, beides zusammen ist für Sie ein bisschen schwierig, aber geben Sie sich Mühe.«
9
Die Dame, die Ethan zu bedienen versuchte, konnte sich nicht entscheiden, was sie
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