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Anne Frasier

Anne Frasier

Titel: Anne Frasier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marinchen
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im Flur standen und versuchten, sie nicht anzustarren.
    »Komm schon«, sagte sie und zerrte an «einer Hand, zerrte ihn in einen Raum, in dem eine bezaubernde Frau an einem Schreibtisch saß. Sie hatte schwarzes Haar und rote Lippen und ein warmes Lächeln, das alles in Ordnung scheinen ließ.
    Andere Frauen saßen an anderen Tischen und füllten Formulare aus. Ein paar Kinder spielten in einer Ecke mit Spielsachen.
    Seine Mutter ließ seine Hand los. Die Frau hinter dem Schreibtisch sagte Hallo zu ihm und fragte ihn, ob er mit den anderen spielen wollte.
    Er sah auf zu seiner Mutter.
    Würde sie ihn lassen?
    »Geh schon«, sagte sie mit ihrem ärgerlichen Gesicht, der ärgerlichen Stimme.
    Also ging er langsam rüber zu den anderen Kindern. Ein Junge hatte ein Plastikauto, das er über einen grünen Teppich schob, auf den Straßen gemalt waren. Ein Mädchen mit blonden Haaren spielte mit farbigen Bauklötzen, stapelte sie höher und höher.
    Er fand sie hübsch.
    Das Mädchen sah ihn an und sagte: »Du stinkst.«
    Der Junge sah auf, dann zeigte er mit dem Finger auf ihn. »Du hast dir in die Hose gemacht.« Aber das reichte nicht, er musste es allen im Zimmer sagen. »Er hat in die Hose gemacht«, sagte er mit Singsangstimme und zeigte immer noch auf ihn. »Frau Lehrerin, er hat in die Hose gemacht.«
    Er konnte es heiß und feucht an seinem Bein herunterinnen spüren, an seinem Fuß, es sammelte sich auf dem Teppich. Der Geruch des Urins stach in seine Nase. Verwirrt fragte er sich, was er falsch gemacht hatte.
    Die hübsche Frau hinter dem Schreibtisch stand auf. Sie lächelte jetzt nicht mehr. Ihr roter Mund war eine gerade Linie, sie hatte die dunklen Brauen zusammengezogen, und tiefe Falten bildeten sich zwischen ihren Augen. »Ist er noch nicht sauber?« In ihrer Stimme lag Ungläubigkeit und Erschrecken.
    »Dachte, darum kümmert ihr euch«, sagte seine Mutter. Sie watschelte durch das Zimmer, packte seine Hand, zog ihn hinter sich her, sein nasser Fuß quietschte in dem Flip-Flop.
    Aber jetzt trug sie die Opal-Kette, die er ihr gegeben hatte. Und sie hatte etwas von jeder Mutter, die er getötet hatte.
    Wenn er sah, wie sie seine Geschenke trug, fühlte er sich wunderbar denn das waren die wahrsten Symbole seiner tiefsten, ehrlichsten Gefühle für sie.
    Von oben kam ein Scheppern, dann ein heftiges Donnern, das das Haus erzittern ließ.
    Was ist jetzt wieder? fragte er sich. Was ist jetzt nur wieder?
    Und dann begann sie zu schreien und zu stöhnen.
    »Mein Bein! Mein Bein! Ich habe mir das Bein gebrochen!«

11
    Auf japanisch heißt Sachi »Kind der Glückseligkeit«. LaDonna Anderson war keine Japanerin, aber sie hatte an einem Schüleraustausch nach Japan teilgenommen. Das war eine Ewigkeit her. Und obwohl sie oft an ihre japanischen Gasteltern dachte und gehofft hatte, sie eines Tages zu besuchen, kam es nie soweit. Sie hatte einen freundlichen, geduldigen Mann geheiratet, der von der Arbeit in einer Kohlenmine ein Emphysem entwickelt hatte. Sie hatten nur ein Kind, und LaDonna nannte ihre Tochter Sachi, Kind der Glückseligkeit.
    Sachi war ein hübsches Mädchen, das zu einer hübschen Frau heranwuchs. Als ihr Vater starb und LaDonna zu überwältigt war, um auf der Beerdigung zu sprechen, hielt Sachi eine wundervolle Grabrede. So ein Mensch war sie. Jemand, der alles schaffte.
    Und als sie versehentlich schwanger wurde und erklärte, dass sie das Baby behalten und ohne Hilfe des Vaters aufziehen würde, hatte LaDonna gedacht: Ja, das schaffst du. Und sie dachte: Es gibt keine Zufälle. Nur Wunder.
    Im Verlauf von Sachis Schwangerschaft sprachen sie und ihre Tochter oft darüber, dass sie eines Tages nach Japan fahren würden. Es war ein Traum, den sie über die Jahre oft unterhalten hatten, und jetzt beinhaltete dieser Traum ein Kind. Sie würden Sachis Baby mitnehmen ...
    Das Baby wurde ein Junge. Sachi nannte ihn Taro. Japanisch für »Erstgeborener Sohn«.
    Es war nicht billig gewesen, die Geburtsanzeige in der Zeitung zu schalten. Obwohl LaDonna sich die vierzig Dollar dafür eigentlich nicht leisten konnte, hatte sie es trotzdem getan. Sie wollte, dass all ihre Freunde erfuhren, wie stolz sie auf ihren neugeborenen Enkel war, stolz auf ihre wunderschöne Tochter.
    LaDonna arbeitete nachts in einem Laden nur drei Blocks von ihrer und Sachis Wohnung entfernt. Sie konnte am Abend, wenn sie zur Arbeit ging, eine Zeitung kaufen, aber so lange wollte sie nicht warten. Und manchmal waren abends auch

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