Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anne Frasier

Anne Frasier

Titel: Anne Frasier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marinchen
Vom Netzwerk:
ihren schwarzen Koffer unter dem Bett hervor und öffnete ihn. Darin lag eine kleine Geschenkschachtel. Sie war nicht sicher, warum sie sie mitgebracht hatte, vor allem, weil sie sie nicht hatte öffnen können, seit sie sie vor sechzehn Jahren weggesteckt hatte.
    Als sie ihre neue Identität annahm, sollte sie alles aus ihrem alten Leben zurücklassen. Nicht nur, damit man sie nicht verfolgen konnte, sondern auch, damit sie zu einem neuen Menschen werden konnte. Aber es gab ein Ding, von dem zu trennen sie sich weigerte.
    Sie setzte sich aufs Bett und öffnete das blaue Band. Mit zitternden Händen versuchte sie, sich dazu zu bringen, die Schachtel zu öffnen. Konnte es aber nicht. Es würde zu sehr wehtun.
    Man sagte, die Zeit heilt alle Wunden. Bei Ivy aber nicht. Als Psychologin wusste sie um die Stadien der Trauer, und sie wusste auch, dass sie sich noch nicht endgültig damit auseinandergesetzt hatte, was vor all den Jahren geschehen war. Und als Mutter eines ermordeten Kindes fürchtete sie, das auch nie zu schaffen.

20
    Max und Ivy saßen in einem Zivilauto auf Chicagos Graceland-Friedhof. In einem anderen Wagen auf der anderen Seite der Versammlung saßen zwei Polizisten in Zivil. Es war dunkel, und konische weiße Kerzen wurden entzündet. Vor zwei Tagen war ein Artikel in der Mittwochsausgabe des Herald erschienen, der die Gedenkveranstaltung angekündigt hatte, sodass die Presse und das Chicago Police Department für den Augenblick Verbündete waren.
    Der Friedhof Graceland befand sich in Bereich Drei, nur einen Block nördlich von Wrigley Field. Auf dem berühmten Friedhof lagen unter anderem die sterblichen Überreste von Marshall Field und George Pullman. Außerdem hieß es, dass es hier spukte.
    Damit die Geister hier und die Gaffer draußen blieben, war das Gelände von einer hohen roten Ziegelmauer umgeben, auf der sich dann noch drei Lagen Stacheldraht befanden. Die schweren Eisentore wurden jeden Abend um genau fünf Uhr geschlossen, und die Polizei hatte eine Sondergenehmigung beantragen müssen, um die Gedenkveranstaltung durchführen zu dürfen.
    »Es heißt, dass es hier spukt«, sagte Ivy, deren Hals wie zugeschnürt schien, und sie versuchte, ihren Magen zu beruhigen, sich abzulenken, indem sie über Geister redete, denn nicht die Geister beunruhigten sie, sondern die Möglichkeit, dem Madonna-Mörder zu begegnen.
    »Habe ich auch gehört«, sagte Max. »Wie heißt noch das Denkmal, das angeblich nachts rumläuft?« »>Ewige Stille<.«
    »Auch bekannt als >Statue des Todes<. Totaler Blödsinn.«
    »Ist das Ding an?«, fragte sie und bezog sich auf die handtellergroße Videokamera, die er hielt.
    Er spielte an der Schärfeneinstellung herum. »Einsatzbereit.«
    Er drückte einen Knopf, und die Kamera begann, leise zu summen, während sie unbemerkt aufnahm, was sich vor ihnen abspielte. »Neun Uhr zweiunddreißig abends«, sagte er mit monotoner Stimme, um es zu dokumentieren. Dann folgten das Datum, das Aktenzeichen, die beiden Anwesenden. »Viele Leute«, fuhr er fort.
    »Sie glauben also nicht an Geister?«, fragte sie.
    »Nein, Sie etwa?« Seine Stimme klang leicht abgelenkt, wie die von jemand, der sich auf etwas anderes konzentrierte, während er trotzdem noch ein Gespräch weiterführte.
    »Ich habe nie wirklich etwas gesehen, was mich dazu bringen könnte, an Geister zu glauben, aber ich muss zugeben, ich habe ein paar sehr überzeugende Geschichten gehört.«
    »Massenhysterie. Das ist alles. Wie diese Schule in Tennessee. Hunderte von Kindern wurden in die umliegenden Krankenhäuser gebracht. Sie fielen einfach um. Sie mussten nur jemanden berühren, und die fielen auch um. Sie dachten, sie wären Opfer biologischer Kampfstoffe. Aber die Untersuchungen zeigten nichts. Die Luft war in Ordnung. Man konnte nichts feststellen.«
    »Daran kann ich mich erinnern«, sagte Ivy und begann, sich zu entspannen.
    »Das Hirn kann einem ganz schön komische Streiche spielen.«
    »Man nennt das psychogene Krankheiten«, sagte Ivy.
    »Um Gottes willen, bitte keine Psychologiestunde.«
    »Können Sie den Ton ausschalten?«
    »Warum? Wollen Sie nicht, dass die gesamte Einsatzgruppe den reinen Wahnsinn dieses Gespräches mitbekommt?«
    »Allerdings.«
    »Die stehen aber auf sowas.«
    »Und genau das fürchte ich. Was denken Sie, wie viel Leute sind da?«, fragte Ivy. »Fünfzig? Sechzig?«
    »Eher hundert.«
    Aber fünf von diesen hundert waren Polizisten. Und weitere zwanzig wahrscheinlich bloß

Weitere Kostenlose Bücher