Anne Frasier
Seine Wahl war auf eine Taekwondo-Barbie gefallen, was seiner Tochter Marie nicht gefallen würde, da sie generell gegen Barbies war. Aber Abraham fand, eine Taekwondo-Barbie wäre ein gutes Vorbild. Jede Frau musste lernen, sich zu wehren. Darum ging es. Um seine Enkeltochter. Nicht um Maries unsinnige Feministinnenvorstellungen.
Da draußen waren Mörder unterwegs. Die Leute mussten ihre Kinder warnen. Sie mussten aufpassen. Die Öffentlichkeit glaubte, Serienmörder gab es nur, wenn die Medien darüber berichteten. Aber das stimmte nicht. Und die meisten Leute glaubten, einem dieser Monster zu begegnen, sei so unwahrscheinlich, dass es sich nicht lohnte, darüber nachzudenken oder sich zu sorgen. Aber auch das stimmte nicht. Die Monster waren überall.
Der Flug war pünktlich, eine Boeing 747. Die Leute stiegen aus dem Flugzeug, manche in Grüppchen, manche allein, sie sahen sich um, dann fanden sie diejenigen, die sie abholten.
Abraham erkannte sie sofort. Es lag nicht an ihrer Größe - sie war kleiner, als er sie in Erinnerung hatte. Es war auch nicht ihr Körperbau, denn sie hatte die fast jungenhafte Straffheit verloren, oder an der Frisur - sie war blond gewesen, jetzt hatte sie rotes Haar. Es war eigentlich gar nichts, außer der ruhigen Art, auf die sie nach ihm gesucht hatte, an der Art, wie sie ihn anschaute, die so direkt, so geradezu intim war, dass es ihn erschütterte.
Ihr Blick verriet ein Erkennen, das über das rein Körperliche hinausging. Ein Erkennen, das auf Abrahams Wissen über sie basierte; er war der einzige lebende Mensch, der die ganze, wahre Geschichte der Ivy Dunlap kannte.
Er hatte sich offenbar doch nicht so sehr verändert, denn sie bemerkte ihn sofort. »Abraham!«
Ihre Stimme war tiefer, älter, und schien sich an seinem Namen festzuhaken. Seine eigenen Gefühle überraschten ihn, als er sie zur Begrüßung in die Arme nahm, und für einen Moment fühlte es sich an, als umarmte er einen schlanken Vogel mit zarten, zerbrechlichen Schwingen.
»Es ist schön, dich zu sehen«, sagte sie und trat gerade eben weit genug zurück, um ihn zuversichtlich mit beiden Händen zu packen. Sie sahen einander einen Augenblick lang an, und er wusste, dass sie beide an einen anderen Moment
zurückdachten, vor sechzehn Jahren, auch auf diesem Flughafen. Er hatte ihr eine neue Identität verschafft, eine neue Vergangenheit.
Es gab Claudia Reynolds nicht mehr. Jetzt war sie Ivy Dunlap, geboren in Ottawa, Ontario, einziges Kind des Kanadiers Thomas Dunlap und der Frankokanadierin Jennifer Roy. Abraham hatte ihr einen Flugschein und Geld gegeben, hatte gesagt, ein enger Freund würde sie in Toronto in Empfang nehmen. »Ich mag die roten Haare«, sagte er. »Natur pur«, scherzte sie.
Ivy griff nach dem grünen Leinenrucksack, den sie auf den Boden gestellt hatte. Er nahm ihn ihr ab. »Gepäck?«, fragte er.
»Ja.« Sie sah sich unsicher um. »Das ist unten.«
Sie ging neben ihm hei; sie ließ ihn unbewusst vorangehen. Er fragte nach ihrem Flug. Keine Probleme. Ob sie gegessen habe. Ja.
Ivy hatte erwartet, dass die Erinnerungen von dem Moment an, in dem sie das Flugzeug verließ, auf sie einstürzten. Als der Pilot angesagt hatte, dass sie in zehn Minuten in Chicago landen würden, war ihr das Herz in die Hose gesackt, dann hatte es wahnsinnig schnell zu schlagen begonnen, als die Panik sie erfüllte. Aber es war ihr gelungen, sich zu beruhigen. Der Flughafen war zu erfüllt mit der Energie geschäftiger Reisender, um bedrohlich zu erscheinen.
Mit einem leichten Druck am Arm bedeutete Abraham ihr, dass sie die Rolltreppe nehmen mussten. Sie wandte sich um, trat auf die Rolltreppe und griff zugleich nach dem ewig kreisenden Gummigeländer. Abraham.
Das erste, was sie gedacht hatte, als sie ihn gesehen hatte, war: Er ist alt geworden. Sein Haar wurde grau. Aber ihr eigenes Haar war schon vor Jahren ergraut, fast über Nacht.
Er hatte zugenommen. Aber sie hatte ihn sofort erkannt. Seine Haltung. Sein Selbstbewusstsein. Obwohl er einen dunklen Anzug und eine Krawatte trug, statt des Blaus des Chicago Police Department, war leicht zu erkennen, dass er Polizist war. Superintendent mittlerweile, Chef der CPD. Als sie ihn kennen gelernt hatte, war er Detective Sinclair gewesen.
Sechzehn Jahre waren eine lange Zeit, aber nicht lang genug, einen Mann so sehr altern zu lassen, wie Abraham gealtert war. Er wirkte so verbraucht, so verletzt.
Die Madonna-Morde waren schlimm für ihn gewesen, hatte er
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