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Anne Frasier

Anne Frasier

Titel: Anne Frasier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marinchen
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es waren nicht viele Leute auf dem Bürgersteig im Weg, denen sie ausweichen musste, was sie verlangsamte. Im Herbst würde Darby ihr letztes Highschool-Jahr beginnen, und sie hoffte, gut genug Langstrecke zu laufen, um zumindest ein Teilstipendium zu erhalten. Ihre Stärke waren die wirklich langen Strecken, und heute hatte sie vor, zwölf Meilen zu laufen.
    Der Weg, den sie sich überlegt hatte, führte sie durch mehrere Stadtteile Chicagos, einige Einkaufszeilen, einen kleinen Wald und zwei Parks. Eine halbe Meile von zu Hause entfernt erreichte sie Crocus Hill Park, eine ihrer Lieblingsstellen.
    Die Tauben flogen vor ihr auf, ließen sich dann wieder auf den breiten Weg nieder und gurrten leicht empört. In der Luft hing noch der Morgentau, und die Sonne begann gerade erst, ihre Haut zu wärmen. Sie war jung, sie war gesund. Sie hatte das ganze Leben vor sich.
    Der Weg gabelte sich. Sie nahm die linke Abzweigung, die zu einer Steinbrücke führte, die einen kleinen See überspannte, an dem Leute standen und die Enten fütterten. Als sie sich der Brücke näherte, trafen ihre Füße in einem stetigen Rhythmus auf den Boden, der zu ihrem Atem und ihrem Herzschlag passte, ein Geräusch, das sie in den leicht meditativen Zustand fallen ließ, den sie benötigte, um die ganzen zwölf Meilen zu schaffen. Ohne es bewusst zu bemerken, richtete sich ihr Blick auf
    etwas in der Ferne. Ein Farbfleck vor den gedämpfteren Tönen der Natur.
    Schritt, Schritt, Schritt.
    Ihr Hirn bemerkte bedruckten Stoff. Ein weggeworfenes Hemd? Ein Kleid? Die Leute konnten solche Dreckschweine sein.
    Als sie näher kam, fragte sie sich: War das etwa ein Mensch? Der im Park schlief? Vielleicht ein Obdachloser?
    In Chicago gab es viele Obdachlose. Sic hatte gelernt, sie nicht anzusehen, keinen Blickkontakt zu suchen. Denn obwohl sie ihr leidtaten und sie sich wünschte, dass etwas getan würde, damit sie nicht auf der Straße schlafen mussten, jagten sie ihr auch Angst ein. Mit ihrem herausfordernden Blick und den eigenartigen Dingen, die sie vor sich hin murmelten und bei denen sie das Gefühl hatte, aus schierer Höflichkeit antworten zu müssen. Da war es besser, gar nicht erst hinzusehen.
    Schließlich erreichte sie den leuchtend bunten Stoff. Ihre Beine wurden langsamer ... und langsamer ... und langsamer, bis sie nur noch ging. Bis sie stehenblieb.
    Sie hob eine Hand vor den Mund. »O mein Gott.«
    Sie drehte sich um und rannte, ihre Füße donnerten auf den Bürgersteig, ihre Arme und Beine und ihr Herz pumpten wie verrückt. Der Park ein Flirren. Straßen rauschten vorbei, die Farben verschwammen wie Bilder im Zeitraffer.
    Es schien Stunden zu dauern, aber schließlich war sie zu Hause. Sie riss die Haustür auf, sie war in Sicherheit, sie rief nach ihrer Mutter, ihre Stimme unsicher und beengt.
    Augenblicke später erschien ihre Mutter oben an der Treppe, sie trug ein Nachthemd mit Aufdrucken von Teddybären, ihr Dauerwellenhaar ragte in alle Himmelsrichtungen, sie hatte den Mund besorgt geöffnet. Darby und sie hatten sich letzte Nacht gestritten, über irgendetwas Lächerliches. Das war vergessen.
    »Mom«, keuchte Darby, ihre Brust hob und senkte sich.
    Ihre Beine, die daran gewöhnt waren, zwölf Meilen zu laufen, konnten sie kaum tragen. »Du musst die Polizei rufen« Ihre Mutter kam auf sie zugeflogen, eine Hand auf dem Geländer, den Mund immer noch aufgerissen, im Gesicht die panische Mischung aus Wissen-und-Nichtwissen-Wollen. »W... was ist? Bist du verletzt? ist denn was passiert?«  »O mein Gott!« Darby begann zu weinen. »Ich glaube ich, habe eine Leiche gefunden!«
    Sie hatte lila Schmetterlingsspangen im Haar.
    Darauf konzentrierte sich Ivy. Die Schmetterlingsspangen die das Morgenlicht reflektierten. Alle Morde waren schreckliche Akte grotesker Brutalität, aber warum schien es so viel schlimmer, wenn sie in so einer idyllischen Umgebung geschahen? Die direkt vorangegangenen Morde hatten nicht an einem so öffentlichen Ort stattgefunden. Noch ungewöhnlicher war die Tatsache, dass dieses Baby fast ein Jahr alt war.
    Die Mutter begann schon, Fliegen anzuziehen. Keine Hausfliegen. Das hier waren die dicken Fliegen, die ihre Eier in totes Fleisch legten. Schmeißfliegen. Maden. Eine der Fliegen lief über die Wange der Toten, bis zur Ecke eines hervorgequollenen Auges, und blieb dort eine Weile sitzen. Für die Fliege war die Leiche bloß eine Mahlzeit, eine Möglichkeit, Eier abzulegen, die sich in Larven verwandelten

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