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Anne Frasier

Anne Frasier

Titel: Anne Frasier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marinchen
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und die sich satt fraßen, bis nichts als Stoff und Knochen übrig waren, vielleicht noch Haar. Vielleicht noch Zähne. Alles hat einen Zweck.
    Eine weitere Fliege ließ sich auf dem getrockneten Blut in der Nähe des Nasenlochs der Frau nieder, flog dann wieder los und begann, ihren Mund zu umkreisen, der zu einem Lächeln geklebt war, die geschwollene Zunge ragte hervor.
    Ein Arm war gebeugt, eine Hand lag auf der Hüfte in dieser »Anmach-Pose«, die der Madonna-Mörder so mochte. Er verspottete seine Opfer. Ihr bedrucktes Kleid war fast voll
    ständig abgeschnitten worden, ihr blutdurchtränkter BH bis auf ihre Hüfte heruntergezerrt. Ihr Höschen hing an einem Knöchel, ihre Beine waren gespreizt und an den Knien gebeugt, sichtbar für jeden, der es wagte, in ihre Richtung zu schauen. Und man sah den Griff eines abgebrochenen Hockeyschlägers. Auf ihrem Bauch fanden sich die üblichen, zahlreichen Messer-Stichwunden.
    Die Polizei hatte die Gegend abgesperrt. Fünf Streifenwagen standen strategisch mit blinkendem Licht und quakenden Funkgeräten. Ein Krankenwagen hatte im rechten Winkel auf einem leichten Abhang gehalten, die Türen waren offen, und die beiden Sanitäter standen da und hielten eine Bahre; sie warteten darauf, dass der Leichenbeschauer und die Spurensicherung fertig wurden, damit sie die Leiche einpacken und ins Leichenschauhaus bringen konnten. Jeder hatte seinen Zweck.
    Vor dem gelben Tatort-Absperrband versammelte sich die Presse, Auslöser klickten und Videokameras surrten. Auf der Titelseite des Herald von morgen würde höchstwahrscheinlich der Leichensack zu sehen sein, der gerade in den Krankenwagen geladen wurde. Und die Schlagzeile wäre etwas wie: MADONNA-MÖRDER HAT ZWEI NEUE OPFER. Und die Leute würden sich noch mehr Waffen kaufen. Sie würden noch mehr Schlösser an ihren Türen anbringen und sie abends mehrfach überprüfen. Wenn sie es sich leisten konnten, würden sie eine Alarmanlage installieren lassen.
    Und sie würden nicht mehr spazieren gehen. Sie würden Fremde nicht mehr anlächeln und ihnen zunicken. Denn sie wussten, einer von denen, die ihr Lächeln erwiderten, war der Mörder.
    Die Leute würden überlegen, wegzuziehen, raus aus Chicago. Aber dann würden sie von einem Zufallsmord in einer Kleinstadt mit 350 Einwohnern lesen und begreifen, dass sie nirgendwo sicher waren. Und so würden sie in immer größerer innerer Abgeschiedenheit leben, isoliert, sie würden sich
    niemals sicher fühlen, nicht einmal in ihrem eigenen Heim Und wenn sie irgendwo hingingen - ins Kino, zum Essen - würden sie immer über die Schulter schauen, sich immer fragen ...
    Max musste in dieselbe Richtung gedacht haben, denn er sagte: »Selbst wenn wir den schnappen, kommt ein andere Und wieder einer.«
    »So darf man nicht denken«, sagte Ivy. Er hatte gerade Darby Nichols Aussage aufgenommen und während des gesamten Verhörs war er ihr kalt und abweisend erschienen. Als er fertig war, reichte er dem Mädchen eine Karte und sagte: »Hier ist die Nummer eines Psychologen, mit dem Sie sprechen können, wenn Sie mit jemand reden wollen. Kostenlos.« Er grinste schief, amüsierte sich halbwegs über die Tatsache, dass Chicago eine Vollzeitstelle für einen Psychologen geschaffen hatte, dessen einzige Aufgabe darin bestand, unschuldigen Menschen Zuspruch zu spenden, die Leichen fanden.
    Ivy hatte etwas zu dem armen Mädchen und ihrer Mutter sagen wollen, ihnen ihr Beileid aussprechen. Aber was sollte sie sagen? Am Ende bedankte sie sich für die Aussagen und sagte noch: »Tut mir leid, dass das passiert ist.«
    Sie starrten sie mit entsetzten Gesichtern an, nickten entgeistert, und sie taten Ivy so unendlich leid, denn ihr war klar, dass die beiden noch nicht wussten, wie sehr dieses eine Ereignis den Rest ihrer Leben beeinflussen würde. Im Augenblick war es noch etwas, das gerade geschehen war und zu dem sie ein wenig Abstand brauchten, von dem sie glaubten, sie könnten es vergessen, zumindest hinter sich lassen. Sie wussten noch nicht, dass das nie geschehen würde. Sie würden diesen Abstand nie gewinnen, es nie vergessen oder hinter sich lassen können.
    Das Baby war nur ein paar Meter weiter gefunden worden. Im Schutz der Steinbrücke, eingewickelt in eine Babydecke, die so blau war wie das kleine Gesicht. Auf der Decke waren
    Bilder hüpfender Lämmchen. Kleines Lämmchen. Kleines unschuldiges Lämmchen. Keine Spur von Gewaltanwendung. Neben ihm auf dem Boden die Signatur, die

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