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Anne Frasier

Anne Frasier

Titel: Anne Frasier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marinchen
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und öffnete den Chicago Herald. Jetzt stand er in allen Zeitungen.
    Ein paar Tage zuvor hatte man über den Tod von April und Joshua Rodrigez berichtet. Er las gern über sich, während er mitten in der Welt saß. Deutlich sichtbar. Er war klug. Und sie waren dumm. So dumm. Heute gab es kein Foto von Sanitätern, die eine Bahre mit
     einem schwarzen Leichensack hinten in einen Krankenwagen luden. Stattdessen war da ein Riesenfoto - es nahm die ganze obere Hälfte der Seite ein - eines Teddybärs. Eines Baseballhandschuhs. Eines dieser schwarzen Hüte, die Schüler bei der Abschlussfeier trugen. Eines Fernglases. Eines Beatlesalbums. Sgt. Pepper. Das Album, das den Wendepunkt ihrer Karriere markiert hatte. Darauf waren Songs wie »Lucy in the Sky with Diamonds« und »Lovely Rita«. Sein Blick wanderte abwärts.
     
    Lieber Madonna-Mörder,
    Ein Brief. Ein Brief an ihn.
     
    Erregt, fasziniert, ließ er die Zeitung sinken und sah sich um. Da war die stinkige alte Ziege, die immer mit diesem Bus fuhr. Ein paar Uni-Studenten mit Rucksäcken und wilden Frisuren, Piercings in der Fresse. Sie stanken nicht, aber sie störten ihn fast genauso sehr wie die Stinker. Ein Mädchen in einer orangefarbenen Fastfood-Uniform mit weißen Manschetten und einem gelben Smiley-Button am Kragen unter ihrem hässlichen, miesepetrigen Gesicht, auf dem stand: »Habe ich Ihnen schon das Tagesspecial genannt?« Niemand sah ihn an. Niemand bemerkte ihn.
    Er war unsichtbar. Der unsichtbare Mann, er konnte sich frei durch die Massen bewegen, ohne Gefahr zu laufen, bemerkt zu werden. Sein Blick sank wieder hinunter auf die Zeitung.
     
    Lieber Madonna-Mörder,
    ich schreibe Dir vom Friedhof aus. Warum vom Friedhof? Weil ich das Baby bin, das Du vor drei Tagen ermordet hast. Es ist einsam hier draußen. Und dunkel. Es ist immer dunkel. Als sie die Erde auf mich schütteten, hatte ich solche Angst. Ich habe geweint und geweint, aber niemand hat mich gehört. Nur diese Stille. Diese eisige Stille. Warum hast Du mich getötet? Warte. Sag nichts. Ich glaube ich kann es verstehen. Ich glaube, Du hast es getan, weil Du mich liebst. Stimmt das? Liebst Du mich? Und Du wolltest nicht, dass ich ein Leben erleiden muss, so wie Du gelitten hast. Habe ich recht?
    Ich weiß, wie schwer Du es hattest. Ich weiß, dass Deine Mutter nicht immer gut zu Dir war. Aber ich bin einsam. Und traurig. Ich werde jetzt nie die Gelegenheit haben, all die Sachen zu tun, die Kinder tun. Das hast Du mir genommen. Ich wünschte, das hättest Du nicht getan, ich wünschte, Du hättest mich nicht getötet. Ich wünschte, ich hätte mein eigenes Leben leben können, verstehst Du?
    Darunter stand Joshua.
     
    Er starrte, starrte auf den Namen. Was glaubten sie, wie blöd er war? Er saß da und zupfte an sich herum, zupfte und zerrte, zupfte und zerrte, bis all seine Wimpern ausgezupft waren.
    Der Bus hielt, Leute stiegen aus. Leute stiegen ein. Und plötzlich begriff er, dass dies seine Haltestelle war.
    Er faltete die Zeitung zusammen und sprang auf, eilte über den mit Gummi ausgelegten Gang, hechtete gerade noch durch die hintere Tür, bevor sie sich schloss, die Gummilippen berührten schon seine Schultern.
    Er stand auf dem Bürgersteig und kochte vor Wut, er begann, die Zeitung zu zerfetzen, er riss und riss sie in immer kleinere Stückchen, und schließlich stopfte er sie tief in einen Mülleimer. Als er durch einen roten Schleier der Wut aufschaute, starrten die Leute ihn an.
    »Scheiße!«, schrie er und der Speichel flog. »Scheiß auf euch alle!«
    Die Reaktionen auf den Brief des toten Babys begannen am nächsten Tag. Die meisten waren Leserbriefe, ein paar gingen direkt an Alex. Plötzlich war er ein Pseudostar. Nachdem er seine Post geholt hatte, steckte er die entsprechenden Briefe in eine verschließbare Plastiktüte und brachte sie direkt zur Mordkommission. An der Rezeption bekam er einen Besucherausweis und durfte dort hingehen, wo Alex Martin noch nie zuvor gewesen war.
    Der Großteil der Briefe, die sie bisher bekommen hatten, stammte von empörten Lesern, es waren Vorwürfe, dass sie den Journalismus in den Dreck zogen. Aber andere waren eindeutig von Gestörten. Es wäre die Aufgabe der Schriftgutachter und Linguisten der Polizei, die gestörten Autoren näher zu begutachten.
    Alex hatte seine Hausarbeiten gemacht, und er wusste, dass die Untersuchung von Schriftstücken eine der effektivsten Methoden sein konnte, einen Verdächtigen zu überführen.
    Einer

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