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Anne in Avonlea

Anne in Avonlea

Titel: Anne in Avonlea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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wollen Sie sich als Erstes vornehmen?«
    »Wir wollen uns nicht mit Leuten befassen, sondern mit dem Ort«, sagte Anne würdevoll. Halb vermutete sie schon, Mr Harrison wollte sich über das Projekt lustig machen.
    Als sie sich auf den Weg gemacht hatte, sah Mr Harrison ihr vom Fenster aus nach, wie sie beschwingt im Abendrot über die Felder dahinhüpfte.
    »Ich bin ein mürrischer, griesgrämiger, einsamer alter Knabe«, sagte er laut. »Aber das junge Mädchen hat etwas an sich, dass ich mich wieder jung fühle — und das ist ein so angenehmes Gefühl, dass ich es ab und zu gern wieder spüren möchte.«
    »Karotte!«, krächzte Ginger spöttisch.
    Mr Harrison drohte dem Papagei mit der Faust.
    »Du ordinäres Vieh«, brummte er, »ich wünschte fast, ich hätte dir den Hals umgedreht, als mein Bruder dich anschleppte. Musst du mich immer in Verlegenheit bringen?«
    Anne lief vergnügt nach Hause und berichtete Marilla von ihrem Erlebnis, die sich ziemliche Sorgen gemacht hatte, weil Anne so lange ausblieb. Sie hatte sich schon auf die Suche nach ihr machen wollen. »Es gibt also doch noch anständige Leute auf dieser Welt, nicht wahr, Marilla?«, beendete Anne glücklich ihren Bericht. »Mrs Lynde hat neulich gejammert, damit wäre es nicht weit her. Sie sagte, immer wenn man sich auf etwas Schönes freue, würde man sowieso enttäuscht, nichts würde den Erwartungen standhalten. Hm, vielleicht hat sie Recht. Aber es gibt auch gute Seiten. Die schlechten Dinge entsprechen auch nicht immer den Erwartungen. Sie erweisen sich meist als weniger schlimm, als man angenommen hat. Ich hatte mich auf eine furchtbar unangenehme Sache eingestellt, als ich mich auf den Weg zu Mr Harrison machte. Dabei war er ganz freundlich, es war fast richtig nett. Ich glaube, wir werden gute Freunde, wenn wir einander etwas entgegenkommen, und alles hat sich zum Besten gekehrt. Aber trotzdem, Marilla, bestimmt werde ich nie wieder eine Kuh verkaufen, bevor ich nicht weiß, wem sie gehört. Und Papageien kann ich doch nicht ausstehen.«

04 - Meinungsverschiedenheiten
    Eines Abends bei Sonnenuntergang hielten sich Jane Andrews, Gilbert Blythe und Anne Shirley an einer Hecke im Schatten eines sanft hin und her schwankenden Zweigs einer Fichte auf, wo ein Hohlweg, der so genannte Birkenpfad, zur Hauptstraße führte. Jane hatte den Nachmittag zusammen mit Anne verbracht, die sie ein Stück nach Hause begleitete. Bei der Hecke waren sie auf Gilbert gestoßen. Sie unterhielten sich über den schicksalhaften folgenden Tag. Denn das war der erste September, der Tag, an dem die Schule begann. Jane würde in Newbridge unterrichten, Gilbert in White Sands.
    »Ihr seid beide besser dran als ich«, seufzte Anne. »Ihr unterrichtet Kinder, die euch nicht kennen. Ich dagegen muss meine eigenen Schulkameraden unterrichten. Mrs Lynde befürchtet, sie würden mir nicht so viel Respekt erweisen wie einer Fremden, wenn ich nicht von Anfang an hart durchgreife. Aber ich finde das nicht gut. Oh, diese Verantwortung!«
    »Wir werden es schon schaffen!«, sagte Jane aufmunternd. Jane schien keine Selbstzweifel zu kennen. Sie wollte rechtschaffen ihr Geld verdienen, ihren Schülern gefallen und sich einen guten Namen auf der Schulinspektor-Ehrenliste machen. Andere Ambitionen hatte Jane nicht. »Hauptsache, man sorgt für Ruhe und Ordnung und dazu muss ein Lehrer schon ein wenig Durchsetzungsvermögen zeigen. Wenn meine Schüler nicht tun, was ich ihnen auftrage, werde ich sie bestrafen.«
    »Wie denn?«
    »Ihnen eine gehörige Tracht Prügel geben, was sonst?«
    »Oh, Jane, das würdest du nicht«, rief Anne entsetzt. »Das kannst du nicht machen, Jane!«
    »Doch, ich würde und ich kann, wenn sie es verdient haben«, sagte Jane bestimmt.
    »Ich könnte niemals ein Kind schlagen«, sagte Anne ebenso bestimmt. »Ich halte das für überhaupt nicht gut. Miss Stacy hat uns nie geschlagen und es herrschte sehr wohl Ordnung. Mr Philipp hat uns dauernd geschlagen und alles ging drunter und drüber. Nein, wer nicht ohne eine Tracht Prügel auskommt, der sollte nicht Lehrer werden. Es gibt bessere Methoden. Ich werde es versuchen die Schüler für mich zu gewinnen, dann werden sie gern tun, was ich ihnen auftrage.«
    »Mal angenommen, sie tun es nicht?«, sagte Jane in ihrer praktisch denkenden Art.
    »Ich würde sie trotzdem nicht verprügeln. Es führt zu nichts. Jane, schlage deine Schüler nicht, egal, was sie anstellen.«
    »Was meinst du, Gilbert?«, fragte

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