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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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mir schon gedacht«, gab Jane ihr Recht. »Aber du kannst es dir ja durch den Kopf gehen lassen, Anne. Billy ist ein netter Kerl. Ich muss das sagen, schließlich ist er mein Bruder. Er hat keine Laster und er ist fleißig und man kann sich auf ihn verlassen. >Ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach.< Er hat mir aufgetragen, dir zu sagen, dass er durchaus bereit ist, zu warten, bis du mit dem College fertig bist, wenn du unbedingt darauf bestehst. Obwohl er natürlich lieber schon dies Frühjahr heiraten würde, bevor die Frühjahrsaussaat ins Haus steht. Er würde immer gut zu dir sein, das steht fest, und du weißt, Anne, ich hätte dich liebend gern als Schwägerin.«
    »Ich kann Billy nicht heiraten«, sagte Anne entschieden. Sie hatte sich wieder gefasst und war jetzt sogar ein bisschen ärgerlich. Das war doch einfach lächerlich. »Schlag es dir aus dem Kopf, Jane. Ich mache mir nichts aus Billy und das musst du ihm sagen.«
    »Hm, das war mir von Anfang an klar«, sagte Jane mit einem resignierten Seufzer und in dem Gefühl, dass sie ihr Bestes versucht hatte. »Ich habe gleich zu Billy gesagt, dass es überhaupt keinen Sinn hätte, dich zu fragen, aber er bestand darauf. Nun, du hast dich entschieden, Anne, und ich hoffe, du wirst es nicht bedauern.«
    Jane sagte es ziemlich kühl. Sie war sich ganz sicher gewesen, dass der verliebte Billy nicht die Spur einer Chance hatte. Dennoch empfand sie leichten Zorn darüber, dass Anne Shirley, die schließlich nur ein adoptiertes Waisenkind war, tatsächlich ihren Bruder zurückwies - einen Andrews aus Avonlea. Nun, manchmal kommt Hochmutvor dem Fall, dachte Jane bedeutungsvoll.
    In der Dunkelheit gestattete Anne sich ein heimliches Lächeln bei dem Gedanken, dass sie es je bereuen könnte, nicht Billy Andrews geheiratet zu haben.
    »Hoffentlich nimmt Billy es nicht zu schwer«, sagte sie nett. Jane machte eine Bewegung, so als schüttelte sie auf dem Kissen den Kopf.
    »Oh, er wird es schon verkraften. Dafür ist Billy viel zu vernünftig. Er kann auch Nettie Blewett sehr gut leiden und Mutter sähe eine Heirat mit ihr sowieso viel lieber. Sie kann prima wirtschaften und ist sparsam. Wenn Billy erfährt, dass du ihn nicht heiraten willst, dann nimmt er bestimmt Nettie. Erwähne es aber bitte niemandem gegenüber, Anne.«
    »Bestimmt nicht«, sagte Anne, die weiß der Himmel nicht erpicht darauf war, auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verlauten zu lassen, dass Billy Andrews eigentlich sie heiraten wollte und letzten Endes Nettie Blewett vorzog. Nettie Blewett!
    »Lass uns jetzt schlafen«, schlug Jane vor.
    Jane schlief gleich ein. Anne war jedoch die Müdigkeit vergangen. Sie lag lange wach da, aber ihre Gedanken waren alles andere als romantisch. Erst am nächsten Morgen konnte sie genüsslich über die ganze Sache lachen. Als Jane sich kühl verabschiedet hatte, begab sich Anne wieder in ihr Zimmer, schloss die Tür zu und brach schließlich in schallendes Gelächter aus.
    »Wenn ich den Spaß nur mit jemandem teilen könnte!«, dachte sie. »Aber es geht nicht. Diana wäre die Einzige, der ich es gern erzählen würde, aber selbst wenn ich Jane nicht versprochen hätte, es für mich zu behalten, Diana könnte ich im Augenblick nicht solche Geheimnisse anvertrauen. Sie erzählt haarklein alles Fred - ich weiß es genau. Na ja, das war also mein erster Heiratsantrag. Ich habe wohl schon damit gerechnet, aber nie hätte ich mir träumen lassen, dass er mir sozusagen in Vertretung gestellt würde. Es ist furchtbar komisch - und irgendwie gibt es mir auch einen Stich.«
    Anne wusste nur zu gut, woran das lag, auch wenn sie es nicht in Worte fasste. Sie hatte ihre geheimen Träume, wie es sein würde, wenn jemand ihr zum ersten Mal diese Frage stellte. Und in der Phantasie war es immer sehr romantisch und schön gewesen.
    Und nun hatte sich das Ganze als eine einzige Groteske herausgestellt. Billy Andrews hatte seine Schwester geschickt, damit sie stellvertretend für ihn um ihre Hand anhielt, einfach weil sein Vater ihm die obere Farm überschrieben hatte. Und wenn Anne »ihn nicht wollte«, dann würde Nettie Blewett ihn schon nehmen. Das war Romantik auf Teufel komm raus! Anne lachte - und seufzte dann. Ihr Traum war dahin. Und die Romantik auch!

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