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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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»Sicher, wir sind hier ganz gut untergebracht, aber ein Haus ist doch etwas anderes als eine Pension. Lass uns doch gleich auf Haussuche gehen, bevor die Prüfungen beginnen.«
    »Es wird schwierig werden, etwas Passendes zu finden«, warnte Priscilla. »Mach dir bloß keine allzu großen Hoffnungen, Anne. Die schönen Häuser in den Stadtvierteln, die uns gefallen, können wir uns sowieso nicht leisten. Wahrscheinlich müssen wir uns mit einem schäbigen kleinen Haus direkt an der Straße zufrieden geben.«
    Also machten sie sich auf die Suche, aber es stellte sich als noch schwieriger heraus, als Priscilla befürchtet hatte. Häuser, möblierte und unmöblierte, gab es wie Sand am Meer. Aber das eine war zu groß, das andere zu klein; dies zu teuer, jenes zu weit entfernt von Redmond. Die Zeit verging, die Prüfungen standen ins Haus und waren schließlich geschafft. Es begann die letzte Woche des Semesters, und ihr »Traumhaus«, wie Annes es nannte, war noch immer nichts als ein Luftschloss.
    »Wir müssen es vorläufig wohl aufgeben und im Herbst weitersuchen«, sagte Priscilla matt, als sie an einem wunderschönen, leicht windigen Apriltag durch den Park wanderten. »Vielleicht finden wir ja irgendeine Bruchbude. Und wenn nicht, dann gibt es immer noch die Pensionen.«
    »Ich mag jetzt nicht weiter darüber nachdenken, das verdirbt mir bloß diesen herrlichen Tag«, sagte Anne und sah sich entzückt um. In der frischen, kühlen Luft lag ein schwacher Duft nach Kiefernöl, der Himmel war kristallklar und strahlend blau.
    »Ist es nicht schön, wenn man die Wintersachen wieder verstauen und in luftigen Kleidern herumlaufen kann?«, lachte Priscilla. »Fühlst du dich nicht auch wie neugeboren?«
    »Im Frühling ist alles wie neu«, sagte Anne. »Sogar der Frühling selbst ist jedes Mal wie neu. Kein Frühling gleicht dem anderen. Sieh mal das frische Gras da an dem kleinen Teich, und die Weidenknospen da!«
    »Und die Prüfungen haben wir auch hinter uns. Nächsten Mittwoch ist schon das Abschlussfest. Heute in einer Woche sind wir wieder zu Hause.«
    »Ich freue mich darauf«, sagte Anne verträumt. »Ich habe ganz viel vor. Aber in Kingsport gefällt es mir inzwischen auch, und ich freue mich jetzt schon auf den Herbst. Hätte ich nicht das Stipendium bekommen, dann wäre es wohl nicht gegangen. Ich könnte einfach nichts von Marillas Ersparnissen annehmen.«
    »Wenn wir nur ein Haus finden würden!« seufzte Priscilla. »Sieh dir Kingsport an, Anne - Häuser, Häuser, wohin man auch sieht, und nicht eines für uns.«
    »Hör schon auf, Pris. Es wird schon noch klappen. An einem Tag wie heute gibt es bei mir einfach kein Wort wie >nicht<.« Bis Sonnenuntergang hielten sie sich im Park auf und genossen die Frühlingssonne. Und wie immer gingen sie dann über die Spofford Avenue heim, um in den Genuss des Anblicks von Pattys Haus zu kommen.
    »Mir ist, als würde heute noch etwas Schönes passieren - es kribbelt mir in den Fingern!«, sagte Anne plötzlich, als sie den Hang hinaufgingen. »Es ist ein Gefühl wie im Märchen. He-he-he! Priscilla Grant, schau mal dort drüben und sage mir, ob es wahr ist oder ob ich Gespenster sehe?«
    Priscilla schaute auf die andere Straßenseite. Es war nicht zu glauben! Über dem gebogenen Torweg von Pattys Haus baumelte ein kleines bescheidenes Schild. Darauf stand: »Zu vermieten. Möbliert. Alles Weitere im Haus zu erfragen.«
    »Pris«, sagte Anne flüsternd, »meinst du, wir können es mieten?«
    »Nein«, erwiderte Priscilla fest. »Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Märchen passieren heutzutage nicht mehr. Ich darf es mir gar nicht ausmalen, Anne, die Enttäuschung wäre einfach zu groß. Bestimmt wollen sie viel mehr dafür, als wir uns leisten können. Schließlich liegt es an der Spofford Avenue.«
    »Auf jeden Fall müssen wir es wenigstens versuchen«, sagte Anne entschlossen. »Heute ist es zu spät dafür, aber gleich morgen gehen wir fragen. O Pris, wenn wir das zauberhafte Häuschen bekämen! Ich habe gleich, auf den ersten Blick, geahnt, dass ich noch irgendwie mit Pattys Haus zu tun bekommen würde.«

10 - Pattys Haus
    Am nächsten Nachmittag gingen sie entschlossenen Schrittes den gepflasterten Pfad entlang durch den Garten. In den Kiefern sang der Wind und in dem Wäldchen wimmelte es von Drosseln - großen, frechen Kerlen, die über den Pfad stolzierten. Anne und Priscilla läuteten etwas zaghaft und wurden von einem grimmigen alten Dienstmädchen

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