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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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fassungslos.
    Diana klatschte in die Hände.
    »Oh, ich wusste, dass du den ersten Preis bekommen würdest - ich war mir ganz sicher. Ich habe die Geschichte eingeschickt, Anne.«
    »Diana - Barry!«
    »Ja«, sagte Diana fröhlich und ließ sich aufs Bett fallen. »Als ich das Preisausschreiben sah, fiel mir gleich deine Geschichte ein. Zuerst wollte ich dich fragen. Aber dann hatte ich Angst, du würdest es vielleicht nicht wollen - du hattest ja gar kein Zutrauen mehr darin. Also dachte ich, ich erwähne es erst gar nicht, und habe das Exemplar, das du mir gegeben hattest, eingeschickt. Wenn die Geschichte nun nicht den ersten Preis bekommen hätte, hättest du nie davon erfahren.« Diana war nicht eine der Feinfühligsten, aber jetzt fiel ihr doch auf, dass Anne nicht gerade überwältigt dreinsah. Überrascht war sie, das ja - aber wo war die Freude?
    »Nanu, Anne, du freust dich ja gar nicht!«, rief Diana.
    Anne setzte ein Lächeln auf.
    »Eigentlich müsste ich mich darüber freuen, dass du mir eine Freude machen wolltest«, sagte sie bedächtig. »Aber weißt du ... ich bin platt... ich verstehe gar nichts mehr. In meiner Geschichte war mit keinem Wort die Rede von ... von ...«, Anne musste ein wenig lachen bei dem Wort, »Backpulver.«
    »Ah, das habe ich eingesetzt«, sagte Diana beruhigt. »Das war ja im Nu getan. Meine Erfahrungen in unserem Geschichtenklub kamen mir da natürlich zustatten. Du erinnerst dich doch an die Szene, in der Averil den Kuchen backt? Naja, da habe ich eingesetzt, dass sie dafür Rollings-Backpulver nimmt und dass nur deshalb der Kuchen eben auch so gut wurde.«
    »Oh«, sagte Anne und schnappte nach Luft, als hätte jemand kaltes Wasser über sie ausgeschüttet.
    »Und du hast hundert Dollar gewonnen«, fuhr Diana jubelnd fort.
    Anne hielt den verhassten roten Scheck in ihren zitternden Fingern.
    »Ich kann ihn nicht annehmen - er steht dir zu, Diana. Du hast die Geschichte eingesandt und die Änderungen vorgenommen. Ich ... ich hätte sie nie eingeschickt. Also steht dir auch das Geld zu.«
    »Aber das war doch kein Aufwand«, sagte Diana. »Mir reicht vollauf, mit der Gewinnerin befreundet zu sein. So, ich muss gehen. Eigentlich hätte ich direkt vom Postamt nach Hause gehen sollen, wir haben nämlich Besuch. Aber ich musste einfach auf einen Sprung vorbeischauen und die Neuigkeiten hören. Ich freue mich ja so für dich, Anne.«
    Anne beugte sich plötzlich vor, legte die Arme um Diana und gab ihr einen Kuss.
    »Du bist die liebste und beste Freundin der Welt, Diana«, sagte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme, »du hast es ja gut gemeint.«
    Diana machte sich halb erfreut, halb verlegen auf den Weg. Anne aber steckte den Scheck in die Schreibtischschublade, als handelte es sich um Blutgeld, warf sich aufs Bett und weinte vor Scham und Kränkung. Oh, die Schande würde sie nie verwinden - niemals!
    Später kam Gilbert und gratulierte ihr überschwänglich, denn er war auf Orchard Slope gewesen und hatte die Neuigkeit gehört. Aber seine Glückwünsche erstarben ihm auf den Lippen, als er Annes Miene sah.
    »Aber Anne, was ist denn los? Ich dachte, du würdest dich freuen! Bravo!«
    »O Gilbert, du nicht auch noch«, flehte Anne ihn in einem Ton an, der besagte: »Du Rohling«. »Ich dachte, wenigstens du würdest es verstehen. Begreifst du denn nicht, wie furchtbar es ist?«
    »Zugegeben, ich begreife es nicht. Was ist denn schlimm daran?«
    »Alles«, stöhnte Anne. »Es ist eine ewige Schande. Was glaubst du, wie einer Mutter zu Mute wäre, wenn ihr Kind von Kopf bis Fuß mit Backpulver-Reklame tätowiert wäre? So komme ich mir vor. Meine Geschichte hat mir gefallen, mein Herzblut steckt darin. Es ist eine Schande, sie zu einer Backpulver-Reklame herabzuwürdigen. Und, o Schreck, wenn es sich am Redmond herumspricht? Stell dir vor, wie man mich damit aufziehen und mich deswegen auslachen wird!«
    »Das wird nicht passieren«, sagte Gilbert und fragte sich beunruhigt, ob Annes größte Sorge womöglich war, was dieser verflixte Zweitsemestler darüber dachte. »Die am Redmond werden genauso darüber denken wie ich - dass du, als Einzige von uns allen, die wir nicht gerade in Geld schwimmen, dir auf ehrliche Art und Weise etwas Geld verdient hast, um in dem Semester besser über die Runden zu kommen. Ich kann nicht sehen, was daran lächerlich sein soll. Natürlich würden wir alle gern Meisterwerke der Literatur verfassen - aber Miete und Schulgeld wollen auch

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