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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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gestickt hat. Es ist noch nicht ganz fertig - die Nadel steckt noch da, wo sie sie hingesteckt hat, als sie es das allerletzte Mal aus der Hand gelegt hat.«
    »Es bleiben immer Arbeiten ungetan«, sagte Mrs Lynde mit Tränen in den Augen. »Aber es wird immer jemanden geben, der sie zu Ende führt.«
    »Man kann kaum fassen, dass jemand, den wir von klein auf kennen, plötzlich nicht mehr da ist«, sagte Anne, als Diana und sie nach Hause gingen. »Ruby hat es als Erste getroffen. Früher oder später müssen alle ihr folgen.«
    »Ja, das ist wohl wahr«, sagte Diana unbehaglich. Sie wollte nicht über dies Thema sprechen. Sie hätte sich lieber über die Einzelheiten der Beerdigung unterhalten - den weißen, mit Samt ausgeschlagenen Sarg, auf dem Mrs Gillis bestanden hatte, über Herb Spencers trauriges Gesicht, über den Weinkrampf von einer von Rubys Schwestern -, aber darüber wollte Anne nicht reden.
    »Ruby Gillis hat immer viel gelacht«, sagte Davy unvermittelt. »Kann sie im Himmel auch so viel lachen wie hier in Avonlea, Anne? Das will ich wissen.«
    »Ja, ich denke schon«, sagte Anne.
    »Oh, Anne«, wandte Diana entsetzt ein.
    »Naja, warum denn nicht, Diana?«, sagte Anne ernst. »Meinst du etwa, dass wir im Himmel nicht lachen dürfen?«
    »Oh ... ich ... ich weiß nicht«, wand sich Diana. »Irgendwie kommt es mir nicht ganz richtig vor. In der Kirche in Lachen auszubrechen ist schon schlimm genug.«
    »Aber im Himmel ist es nicht wie in der Kirche - jedenfalls nicht dauernd«, sagte Anne.
    »Das hoffe ich schwer«, sagte Davy mit Nachdruck. »Falls aber doch, dann will ich erst gar nicht in den Himmel kommen, in der Kirche ist es schon langweilig genug. Aber ich bleib ja nicht ewig hier. Ich will nämlich hundert Jahre alt werden, wie Mr Thomas Blewett aus White Sands. Er sagt, er wäre so alt, weil er immer Tabak geraucht hat, und der hat alle Bazillen abgetötet. Darf ich auch bald Tabak rauchen, Anne?«
    »Nein, Davy, du wirst hoffentlich nie mit dem Rauchen anfangen«, sagte Anne abwesend.
    »Und was ist, wenn mich dann die Bazillen töten?«, fragte Davy.

15 - Der verdrehte Traum
    »Nur noch eine Woche, und wir sind wieder am Redmond«, sagte Anne. Sie freute sich auf die Kommilitonen und Freunde. Außerdem war sie voll Vorfreude auf Pattys Haus. Beim bloßen Gedanken daran stellte sich ein heimeliges Gefühl ein, obwohl sie noch gar nicht darin gewohnt hatte.
    Aber leider wurde Anne die letzte schöne Ferienwoche durch ein Ereignis verleidet, das ihr wie ein verdrehter Traum vorkam.
    »Hast du in letzter Zeit noch Geschichten geschrieben?«, fragte Mr Harrison sie eines Tages freundlich, als Anne mit Mrs Harrison und ihm beim Tee saß.
    »Nein«, antwortete Anne kurz.
    »Na, sollte ja kein Angriff sein. Mrs Hiram Sloane hat nur neulich erzählt, vor ungefähr einem Monat hätte ein großer Umschlag an Rollings-Backpulver im Postkasten gesteckt. Sie meinte, dass vielleicht jemand am Preisausschreiben für die beste Backpulver-Geschichte mitmachte. Deine Schrift wäre es nicht gewesen, sagte sie, aber es hätte ja trotzdem sein können.«
    »Nein! Ich wusste zwar von dem Preisausschreiben, aber nicht im Traum wäre ich darauf gekommen, mitzumachen. Es wäre wirklich eine Schande, aus Reklamezwecken für Backpulver eine Geschichte zu schreiben.«
    In dem Ton redete Anne weiter und dachte kein bisschen an die Demütigung, die ihr bevorstand. Am selben Abend kam Diana mit strahlenden Augen und roten Wangen und einem Brief in der Hand in den Ostgiebel gestürmt.
    »Anne, hier ist ein Brief für dich. Ich war gerade auf dem Postamt, also dachte ich, ich bringe ihn vorbei. Mach ihn schnell auf. Falls meine Vermutung richtig ist, dann werde ich gleich ganz aus dem Häuschen sein.«
    Anne öffnete verwirrt den Brief und überflog das getippte Schreiben.
     
    »Gnädige Frau,
    wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie mit Ihrer Geschichte >Averils Aussöhnung< in unserem Preisausschreiben den ersten Preis in Höhe von 100 Dollar gewonnen haben. Den Scheck finden Sie anbei. Wir leiten alles Nötige in die Wege, um die Geschichte in mehreren großen Kanadischen Zeitungen zu veröffentlichen. Darüber hinaus wollen wir sie als Broschüre zur Verteilung an unsere Kunden drucken lassen. Mit einem herzlichen Dank für Ihr Interesse, das Sie unserem Unternehmen entgegengebracht haben, verbleiben wir
    mit freundlichen Grüßen Rollings-Backpulver-Co.«
     
    »Ich verstehe kein Wort«, sagte Anne

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