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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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eine Mörderin.«
    »Er wird nicht leiden«, tröstete Phil sie, aber Anne flüchtete. Der Schauplatz der Untat war die hintere Veranda. Niemand ging an dem Tag mehr dorthin. Am Abend erklärte Phil, dass Rusty begraben werden müsste.
    »Pris und Stella graben im Garten ein Loch aus«, bestimmte Phil. »Anne hilft mir bei der Kiste. Das ist immer der schlimmste Moment.«
    Die beiden schlichen auf Zehenspitzen widerwillig zur hinteren Veranda. Phil nahm behutsam den Stein von der Kiste. Da war schwach, aber deutlich ein Miauen zu hören.
    »Er... er lebt noch«, keuchte Anne und setzte sich blass auf die Türstufe zur Küche.
    »Das kann nicht sein«, sagte Phil ungläubig.
    Ein weitererwinziger Maunzer bewies, dass er lebte. Die beiden Mädchen starrten einander an.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Anne.
    »Wo bleibt ihr denn?«, fragte Stella, die in der Tür erschien. »Das Grab ist ausgehoben. Nanu, das große Schweigen?«, sagte sie neckend.
    »O nein, die Stimmen der Toten erklingen«, erwiderte Anne und zeigte ernst auf die Kiste.
    Ein Lachen löste die Anspannung.
    »Wir müssen ihn bis morgen früh drin lassen«, sagte Phil und legte den Stein wieder auf die Kiste. »Seit fünf Minuten hat er keinen Laut mehr von sich gegeben. Vielleicht war der Maunzer vorhin ja sein Todesschrei. Vielleicht war es auch nur Einbildung, vor lauter schlechtem Gewissen.«
    »Da ist ja ein Astloch in der Kiste«, brummte Phil. »Das ist mir gar nicht aufgefallen. Daher also. Tja, dann kann das Spielchen von vorn losgehen.«
    »Nein«, rief Anne unvermittelt. »Rusty macht das nicht noch einmal durch. Er gehört mir - und damit basta.«
    »Also gut, wenn du dich mit Tante Jimsie einigen kannst und mit Katza Sarah«, sagte Stella mit einer Miene wie jemand, der seine Hände in Unschuld wäscht.
    Von der Zeit an gehörte Rusty mit zur Familie. Nachts schlief er auf der Matte auf der hinteren Veranda. Er lebte in Saus und Braus. Bis Tante Jamesina kam, war er dick und rund und hatte glänzendes Fell und war überhaupt ganz ansehnlich. Aber er streunte und legte sich mit jeder Katze an. Eine nach der anderen schlug er die aristokratischen Katzen der Spofford Avenue in die Flucht. Was Menschen anging, so mochte er nur Anne. Niemand getraute sich ihn zu streicheln. Ein böses Fauchen erwartete jeden, der es dennoch wagte.
    »Die Katze führt sich unmöglich auf«, erklärte Stella.
    »Ein liebes Kätzchen bist du, ein ganz liebes«, sagte Anne und hätschelte ihn trotzig.
    »Hm, ich kann mir nicht vorstellen, dass Katze Sarah und er miteinander auskommen«, sagte Stella pessimistisch. »Nächtliche Katzenkämpfe im Garten sind schon schlimm genug. Aber Katzenkämpfe in der Wohnstube - nicht auszudenken!« Tante Jamesina kam zur abgemachten Zeit an. Anne, Priscilla und Phil hatten ihrer Ankunft etwas zweifelnd entgegengesehen. Aber als Tajite Jamesina im Schaukelstuhl vor dem offenen Kamin saß, waren sie sehr angetan.
    Tante Jamesina war ein kleines Persönchen, hatte ein leicht eckiges Gesicht und große hellblaue Augen, die vor Lebendigkeit nur so sprühten. Sie hatte rote Backen und schneeweiße Haare, die über den Ohren zu altmodischen kleinen Haarrollen gesteckt waren.
    »Das ist sehr altmodisch«, sagte sie und strickte emsig weiter. »Aber so bin ich nun mal. Meine Kleider sind altmodisch und meine Ansichten selbstverständlich auch. Das ist wie mit Schuhen: Neue Schuhe sehen schöner aus, aber in alten läuft es sich besser. Im Übrigen möchte ich es mir hier eigentlich leicht machen. Ihr denkt, ich kümmere mich um euch und passe auf euch auf, aber das werde ich nicht tun. Ihr seid alt genug, um selbst zu wissen, was ihr zu tun und zu lassen habt«, sagte sie mit einem Blinzeln.
    »Oh, kann jemand diese Katzen auseinander bringen«, flehte Stella.
    Tante Jamesina hatte nicht nur Katze Sarah mitgebracht, sondern auch Joseph. Joseph, erklärte sie, hatte einer lieben Freundin gehört, die nach Vancouver gezogen war.
    »Sie konnte Joseph nicht mitnehmen, also hat sie mich gebeten, ihn zu nehmen. Ich konnte einfach nicht Nein sagen. Es ist ein schönes Tier - das heißt, im Wesen. Sein Fell hat ganz viele verschiedene Farben.«
    Das stimmte allerdings. Joseph, wie Stella angewidert sagte, sah wie ein wandelnder Lumpensack aus. Man konnte nicht sagen, welches seine Grundfarbe war. Seine Beine waren weiß mit schwarzen Flecken darauf. Auf dem Rücken war er grau, er hatte einen großen gelben Flecken auf der einen und einen

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