Anne in Kingsport
gekommen und hat ihr Medizin verschrieben, womit sie sich die Rippen einschmieren sollte, aber sie hats nicht begriffen und hat die Medizin eingenommen. Der Doktor hat gemeint, es wär ein Wunder, dass sie nich dran gestorben wär, aber sie lebt noch, und ihre Rippen sind auch wieder heil. Mrs Lynde sagt, Doktors hätten sowieso von nichts ne Ahnung. Aber die Bratpfanne war nicht mehr heilzumachen. Marilla hat sie weggeworfen. Letzte Woche war Emtedank. Da war Schulfrei, und es gab was Tolles zu essen. Ich hab Pastete mit Rosinen-und-Apfel-Füllung gegässen und gebratenen Truthahn und Früchtekuchen und Pfannkuchen und Kese und Marmelade und Schokladekuchen. Marilla hat gesagt, da würde ich noch dran sterben, aber ich habs nicht getan. Dora hatte hinterher Ohrenweh, nur dass sies nicht in den Ohren hatte, sondern im Magen. Ich hatte nirgendwo Ohrweh.
Unser neuer Lehrer ist ein Mann. Er macht viel Jux. Letzte Woche mussten die Jungs aus der dritten Klasse einen Aufsatz schreiben, wie wir uns mal unsre Frau vorstellen, und die Mädchen, wie ihr Mann sein muss. Er hat sich totgelacht, als er sie gelesen hat. Ich dachte, du würdst meinen gern lesen. Er geht so:
>Wie ich mir meine Frau Vorstelle.
Sie muss gute Manieren haben und tun, was ich ihr sage und immer lieb zu mir sein. Sie muss fünfzehn Jahre alt sein. Sie muss gut zu den Armen sein und das Haus sauber halten und gutmühtig sein und regelmäßig in die Kirchen gehen. Sie muss ganz hübsch sein und lockige Haare haben. Wenn ich ne Frau kriege, die genauso ist, wie ich mir wünsche, dann werde ich schrecklich gut zu ihr sein. Ich meine, eine Frau muss immer gut zu ihrem Mann sein. Manche Frauen haben keine Männer.
Ende.<
Letzte Woche war ich in White Sands auf Mrs Isaac Wrights Beerdigung. Der Mann von der Toten war ganz traurig. Mrs Lynde sagt, Mrs Wrights Großvater hat ein Schaf gestohlen, aber Marilla sagt, wir dürfen nicht schlecht über Tote reden. Warum nicht, Anne? Das will ich wissen. Das ist doch ungefährlich, oder?
Mrs Lynde hat fürchterlich getobt, weil ich sie gefragt hab, ob sie schon lebendig war, als Noah gelebt hat. Ich wollte sie nich krenken. Ich wollte es nur wissen. War sies, Anne?
Mr Harrison hat einen Knecht. Der ist schrecklich ungeschikt. Mr Harrison sagt, er ist auf beiden Füßen linkshändisch.
Mrs Harrisons Preisschwein, von dem sie immer so viel redet, ist an einem Schlag gestorben. Mrs Lynde sagt, das war die Strafe für ihre Angeberei. Aber es muss schlimm gewesen sein fürs Schwein.
Milty Boulter war krank. Der Doktor hat ihm ne scheußliche Medizin gegeben. Ich wollte mit ihm handeln und sie für Geld für ihn einnehmen, aber die Boulters sind ganz knauserig. Milty sagt, er nimmt sie lieber selber ein und spart das Geld. Mrs Boulter hab ich gefragt, wie man sich einen Mann angelt, da hat sie getobt und hat gesagt, sie weiß es nich, sie hätt es noch nie gemacht.
Der neue Pfarrer war gestern zum Tee hier. Er hat sich drei Stücke Kuchen genommen. Wenn ich das tu, sagt Mrs Lynde immer, ich war gierig. Er hat ganz schnell gegässen und große Happen genommen. Zu mir sagt Marilla immer, dass ich das nicht darf. Warum dürfen Pfarrer, was ich nicht darf? Das will ich wissen.
Mehr weiß ich nich. Du kriegst sechs Küsse von mir. Von Dora einen. Hier ist der von ihr.
Alles Liebe Dein David Keith.«
18 - Miss Josephine erinnert sich an Anne
In den Weihnachtsferien fuhren alle Mädchen nach Hause, nur Tante Jamesina blieb da.
»Ich habe zwar drei Einladungen, aber nirgendwohin könnte 124 ich die Katzen mitnehmen«, sagte sie. »Ich lasse die armen Tiere aber nicht drei Wochen allein. Hätten wir anständige Nachbarn, die sich um sie kümmern würden, dann vielleicht, aber so nicht. Also bleibe ich hier und halte Pattys Haus warm.«
Anne war wie immer voller Vorfreude auf zu Hause - doch sie sollte sich nicht erfüllen. Avonlea wurde von einem frühen, kalten und stürmischen Winter heimgesucht, wie es selbst die »ältesten Einwohner« noch nicht erlebt hatten. Green Gables war regelrecht vom Schnee eingeschlossen. Selbst an den paar schöneren Tagen tobte ein solcher Sturm, dass man kaum ins Freie gehen konnte. Der D.V.V. unternahm drei Versuche, zu Ehren der Collegestudenten eine Party zu veranstalten, aber jedes Mal stürmte es derart, dass man nicht vor die Tür gehen konnte, also gaben sie verzweifelt auf.
Anne fühlte sich einsam. Diana lag die ganzen Ferien über mit einer schweren Bronchitis im
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