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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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Träumen war ich das Ungeheuer, das die Römer Lamia nannten. So schien es wenigstens. Das Blut war süß, das Blut war alles für mich. Hatte der alte Grieche Pythagoras Recht? Gab es die Seelenwanderung von einem Körper zum anderen?
    Dann hatte meine Seele in dem früheren Leben in einem Ungeheuer gewohnt.
    Wenn ich während des Tages von Zeit zu Zeit die Augen schloss, fand ich mich jedes Mal gefährlich nahe am Rande dieses Traumes, als wäre er eine Falle in meinem Geist, die nur darauf lauerte, über meinem Bewusstsein zuzuschnappen. Doch in den Nächten überkam es mich am stärksten. Du hast mir schon früher gedient! Was konnte das bedeuten? Komm zu mir.
    Blutdurst. Ich schloss die Augen, rollte mich im Bett zusammen und betete: »Mutter Isis, reinige meinen Geist von diesem Blutwahn.«
    Dann suchte ich mein Heil in der guten, alten, normalen Erotik. Jakob ins Bett kriegen! Kein Glück. Wie sollte ich wissen, dass von allen Männern die Juden zu allen Zeiten am schwersten zu verführen waren.
    Man machte es mir sehr charmant und taktvoll klar.
    Dann zog ich die Sklaven in Betracht. Ausgeschlossen.
    Als Erste schieden die angeketteten Galeerensklaven aus; es gab unter ihnen keinen großen »Ben Hur«, der nur darauf wartete, von mir gerettet zu werden. Sie waren der kriminelle Bodensatz der mittellosen Straftäter, und da sie nach römischer Art ans Schiff gekettet waren, würden sie ertrinken, wenn das Schiff unterging. Davon abgesehen starben sie, wie alle Galeerensklaven, an der Eintönigkeit und durch die Peitsche. Es bot sich einem kein hübscher Anblick, wenn man in den Schiffsbauch einer Galeere hinunterstieg und sah, wie diese Männer den Rücken beugten.
    Doch ich betrachtete das mit ebenso kaltem Blick, wie heute ein Amerikaner die farbigen Fernsehbilder der hungernden afrikanischen Babys betrachtet: kleine schwarze Skelette mit riesigen Köpfen, die nach Wasser schreien. Kurznachrichten, Werbepause, Klangfetzen, CNN schaltet nun um nach Palästina: Steine fliegen, Gummigeschosse. Blut im Fernsehen.
    Die restliche Besatzung des Schiffes bestand aus langweiligen Seeleuten und zwei alten, frommen jüdischen Kaufleuten, die mich anstarrten, als wäre ich eine Hure oder Schlimmeres, und die jedes Mal den Kopf ab-wandten, wenn ich in meiner langen Tunika und mit meinen langen, offenen Haaren an Deck kam.
    Ein richtiges Ärgernis muss ich für sie gewesen sein!
    Aber wie töricht verhielt ich mich in Wirklichkeit, dass ich in dieser Betäubung lebte, und wie angenehm war die Reise – und nur, weil der eigentliche Schmerz und Zorn noch nicht von mir Besitz ergriffen hatten. Es war alles zu schnell gegangen.
    Ich weidete mich an dem letzten Bild, das ich von meinem Vater hatte, als er sich dieser Häscher des Tiberius entledigte, dieser schäbigen gedungenen Mörder, die ein feiger, unentschlossener Kaiser geschickt hatte. Und das Übrige – ich verbannte es aus meinem Kopf, indem ich die Haltung eines abgehärteten Römers beziehungsweise einer ebensolchen Römerin vortäuschte.
    Ein irischer Dichter der Moderne, W. B. Yeats, beschreibt diese offizielle römische Haltung gegenüber dem Scheitern und der Tragödie am besten.

    Gleichgültige Blicke gönne nur dem Leben und dem Tod.
    Dann zieh vorüber, Reiter!

    Kein Römer hat je gelebt, der diesem Satz nicht zuge-stimmt hätte.
    Das war auch meine Haltung – als einzige Überlebende eines alten Geschlechts, die von ihrem Vater den Befehl erhalten hatte »zu leben«.
    Ich wagte nicht, zu lange über das Schicksal meiner Brüder, ihrer reizenden Gemahlinnen und kleinen Kinder zu grübeln. Ich konnte mir die Ermordung dieser Kinder nicht vorstellen – kleine Jungen vom Breitschwert durchbohrt oder Säuglinge an der Wand zerschmettert. Ach, Rom, du und deine mörderische alte Weisheit. Vergiss ja nicht, die Nachkommenschaft zu töten. Tod dem ganzen Stamm!
    Und wenn ich nachts allein lag, fand ich mich aufs Neue im Mittelpunkt grässlicher, blutrünstiger Träume.
    Sie schienen Bruchstücke eines verlorenen Lebens, eines verlorenen Landes zusein. Tief widerhallende, vi-brierende Klänge von Musik beherrschten diese Träume, als schlüge jemand einen Gong, während andere neben ihm weich bespannte Pauken feierlich ertönen ließen. In einem Dunstschleier sah ich eine Unmenge flacher, fremdartiger Malereien an den Wänden. Geschminkte Augen um mich herum. Ich trank Blut! Ich trank es von einem kleinen zitternden Menschenwesen, das vor mir kniete, als wäre

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