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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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Ich konnte gar nicht aufhören zu lachen. Das war zu komisch! Der Sklavenhändler war verwirrt. Sollte er den Sklaven strafen und seinen Wert damit herabset-zen? Oder besser uns beiden das Aushandeln überlassen?
    Der Sklave fragte in dem gleichen vertraulichen Flüsterton, nur in griechischer Sprache: »Was sollte ich denn tun? Jedem Vorübergehenden zuschreien: ›Hier sitzt ein großartiger Lehrer, ein großer Philosoph!‹?« Er beruhigte sich etwas, nachdem er seinem Zorn freien Lauf gelassen hatte. »Die Namen meiner Großväter sind auf der Akropolis in Athen eingeritzt«, fügte er hinzu.
    Der Händler war ratlos.
    Aber ich war ganz eindeutig entzückt und interessiert.
    Wieder rutschte mir meine Palla herab, ich zerrte sie mit einem ungeduldigen Ruck hoch. Diese Kleider! Hatte mir denn nie jemand erklärt, dass Seide von Seide abgleitet?
    »Und was ist mit Ovid?«, fragte ich und holte tief Luft.
    Mir standen vor Lachen fast die Tränen in den Augen.
    »Du erwähnst hier Ovids Namen? Ovid. Ist Ovid hier populär? Niemand in Rom würde das in der Öffentlichkeit wagen, das kann ich dir sagen. Ich weiß nicht einmal, ob Ovid noch lebt, weißt du; es ist eine Schande. Ovid lehrte mich das Küssen, als ich im Alter von zehn Jahren die Amores las. Hast du die Amores je gelesen?«
    Sein gesamtes Verhalten änderte sich. Er wurde milder gestimmt, und mir schien, als erwachte die Hoffnung in ihm, Hoffnung, dass ich eine gute Herrin für ihn sein könnte. Aber er konnte sich noch nicht dazu durchringen, es auch zu glauben.
    Der Händler lauerte darauf, dass man ihm wenigstens eine Andeutung machte, wie er tätig werden könnte. Offensichtlich vermochte er unserem Wortwechsel nicht zu folgen.
    »Hör zu, du anmaßender, einbeiniger Sklave«, sagte ich. »Wenn ich glaubte, dass du mir wenigstens abends aus Ovid vorlesen könntest, würde ich dich auf der Stelle kaufen. Aber diese Tafel hier stellt dich als Mischung aus einem glorifizierten Sokrates und Alexander dem Großen dar. In welchem Krieg auf dem Balkan hast du Waffen getragen? Wieso fielst du in die Hände dieses primitiven Krämers, anstatt sofort von einer vornehmen Familie übernommen zu werden? Wie könnte jemand deinen Behauptungen Glauben schenken? Wenn der blinde Homer in seinen Gesängen derart Unerhörtes verkündet hätte, wären die Leute aufgestanden und hätten die Schenke verlassen.«
    Ärger und Frustration stiegen in ihm auf.
    Der Händler streckte warnend die Hand aus, als wollte er ihn in die Schranken weisen.

    »Was, beim Hades, geschah mit deinem Bein?«, fragte ich. »Wie hast du es verloren? Wer hat dir diese fantastische Prothese gemacht?«
    Der Sklave senkte seine Stimme zu einem zornigen, aber wortgewandten Flüstern und erklärte langsam und geduldig:
    »Es passierte auf einer Eberjagd mit meinem römischen Herrn. Er hat mir das Leben gerettet. Wir waren oft auf der Jagd. Es war auf dem Pentelikon, dem Berg …«
    »Ich weiß, wo der Pentelikon ist, danke!«, sagte ich.
    Seine Mimik war bezaubernd. Aber er war völlig durcheinander. Er leckte sich über die ausgedörrten Lippen und sagte:
    »Lasst den Händler Pergament und Tinte holen.« Er sprach wunderschön Latein, so schön, wie man es von einem Schauspieler oder Redner kennt, aber ohne jede Anstrengung.
    »Ich will Euch Ovids Amores aus dem Gedächtnis aufschreiben«, sagte er sanft bittend, mit zusammengebissenen Zähnen, was keine geringe Kunst ist. »Und dann schreibe ich Euch Xenophons ›Geschichte der Perser‹
    ab, wenn Ihr Zeit dafür habt, natürlich in Griechisch! Mein Herr behandelte mich wie einen Sohn; ich habe mit ihm zusammen gekämpft, mit ihm studiert, mit ihm gelernt.
    Ich schrieb seine Briefe für ihn. Seine Bildung machte ich zu meiner Bildung, weil er es so wollte.«
    »Ah«, seufzte ich stolz und erleichtert.
    Er wirkte jetzt ganz wie ein Edelmann; obwohl er er-zürnt war und sich in unmöglichen Verhältnissen befand, besaß er Würde und redete mit einem Feuer, dass seine Seele dadurch gestärkt wurde.
    »Und im Bett? Bist du da auch so gut?«, fragte ich. Ich weiß nicht, welche Wut oder Verzweiflung mir diese Frage eingab.

    Er war aufrichtig erschrocken. Ein gutes Zeichen. Seine Augen weiteten sich. Er runzelte die Stirn.
    In der Zwischenzeit war der Sklavenhändler mit Tisch, Hocker, Pergament und Tinte wieder aufgetaucht und stellte alles auf das heiße Kopfsteinpflaster.
    »Hier, schreib«, befahl er dem Sklaven. »Schreib Briefe für diese Dame.

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