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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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Addiere etwas. Sonst bringe ich dich um und verkaufe dein Bein.«
    Wieder musste ich unwillkürlich lachen. Ich sah den Sklaven an, der immer noch diesen leicht betäubten Ausdruck trug. Er wich meinen Augen aus und warf stattdessen dem Händler einen geringschätzigen Blick zu.
    »Sind die Sklavinnen vor dir sicher?«, fragte ich von oben herab. »Liebst du Knaben?«
    »Ich bin vollkommen vertrauenswürdig!«, sagte der Sklave. »Ich bin nicht fähig, Verbrechen zu begehen, für welchen Herrn auch immer.«
    »Und was, wenn ich dich in meinem Bett haben möch-te? Ich bin die Hausherrin, zwei Mal verwitwet und nur mir selbst verantwortlich, und ich bin Römerin.«
    Sein Gesicht verdüsterte sich. Ich konnte mir die Ge-fühle, die sich dort spiegelten, nicht erklären – Trauer, Unentschlossenheit, Verwirrung und äußerste Bestürzung wechselten sich auf seinen Zügen ab.
    »Nun?«, fragte ich.
    »Lasst es mich so sagen, Herrin. Ihr hättet viel mehr Vergnügen, wenn ich Euch die Verse Ovids rezitierte, als wenn ich versuchte, sie selbst in die Tat umzusetzen.«
    »Du liebst also Knaben«, sagte ich mit einem Nicken.
    »Ich bin als Sklave geboren, Herrin, ich habe mich an Knaben gewöhnt. Ich kenne nichts anderes. Und ich brauche nichts anderes.« Er war scharlachrot geworden und hatte die Augen niedergeschlagen.
    Ach, diese entzückende athenische Sittsamkeit.

    Ich bedeutete ihm, sich zu setzen.
    Er tat das mit einer erstaunlichen Leichtigkeit und Anmut, wenn man die Umstände wie Hitze, Schmutz, die Menschenmenge, den zerbrechlichen Hocker und den wackligen Tisch berücksichtigte.
    Er nahm den Stift und schrieb schnell in makellosem Griechisch:
    »Habe ich törichterweise diese hohe, gebildete und au-
    ßerordentlich geduldige Dame beleidigt? Habe ich mich durch Voreiligkeit selbst ins Verderben gestürzt?« Er schrieb in Latein weiter: »Spricht Lukrez wahr, wenn er sagt, dass man den Tod nicht fürchten muss?« Er überlegte einen Moment, ging dann wieder zu Griechisch über: »Sind Vergil und Horaz wirklich unseren großen Dichtern ebenbürtig? Glauben die Römer das wirklich, oder hoffen sie nur, dass es so ist, obwohl sie doch wissen, dass ihre großen Leistungen sich in anderen Künsten zeigen?«
    Ich las dies alles nachdenklich, mit zustimmendem Lä-
    cheln. Ich hatte mich in ihn verliebt. Ich betrachtete seine schmale Nase, das tiefe Grübchen in seinem Kinn, und schließlich blickte ich in seine grünen Augen, die zu mir aufsahen.
    »Wie bist du hierher geraten? An einen Sklavenhändler in Antiochia?«, fragte ich. »Du bist in Athen aufgewachsen, wie du gesagt hast.«
    Er wollte aufstehen, um zu antworten. Ich drückte ihn auf seinen Sitz zurück.
    »Ich kann dazu nichts sagen«, antwortete er, »nur, dass mein Herr mich sehr geliebt hat, dass er im Kreise seiner Familie in seinem Bett starb und dass ich nun hier bin.«
    »Warum hat er nicht in seinem Testament verfügt, dass du freigelassen wirst?«

    »Das tat er, Herrin, und mit entsprechenden Mitteln.«
    »Was geschah dann?«
    »Ich kann dir nicht mehr sagen.«
    »Warum nicht? Wer hat dich verkauft und warum?«
    »Herrin«, sagte er, »bitte, achtet meine Treue zu einem Haus, dem ich mein ganzes Leben lang gedient habe.
    Ich kann nicht mehr sagen. Wenn ich in Euren Diensten stehe, werde ich Euch ebenso treu ergeben sein. Euer Haus wird mein Haus sein und mir heilig. Was in Euren vier Wänden vor sich geht, wird in Euren vier Wänden bleiben. Ich rede von dem Anstand und der Güte meines Herrn, weil es sich so gehört. Mehr möchte ich nicht sagen.«
    Hohe Moral der alten Griechen.
    »Los, schreib weiter, mach schon!«, mischte sich der Händler ein.
    »Sei still«, befahl ich ihm. »Er hat schon genug geschrieben.« Der noble Sklave, dieser hinreißend schöne, einbeinige Mann, war in Traurigkeit versunken, seine Blicke schweiften zum Forum in der Ferne, zu dem hekti-schen Hin und Her der Passanten an der Straßenmündung.
    »Was sollte ich als freier Mann tun?«, sagte er dann und schaute zu mir auf in einer Haltung äußerster teilnahmsloser Einsamkeit. »Tag für Tag bei einem Buchhändler Bücher abschreiben für einen Hungerlohn?
    Briefe schreiben für ein paar Münzen? Mein Herr setzte sein Leben aufs Spiel, um mich vor dem Eber zu retten.
    Ich diente im Kampf um Illyrien unter Tiberius, der dort mit etwa fünfzehn Legionen jede Revolte niederschlug.
    Ich hieb einem Mann den Kopf ab, um meinen Herrn zu retten. Was bin ich jetzt?«
    Ich empfand

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