Anne Rice - Pandora
niemals das ganze Ausmaß von dem erkennen, was ich bin!«, sagte er.
»Schon, aber kein Mann!«, sagte ich. »Habe ich Recht?
Kein Mann.«
»Pandora, du verspottest mich mit Absicht. Warum?
Warum tust du das?«
»Diese Umwandlung, diese Aufnahme in den Kreis der Bluttrinker – sie hat deiner Körpergröße nicht einen Zoll hinzugefügt. Hat sie denn irgendwo sonst etwas hinzugefügt?«
»Bitte hör auf damit«, sagte er.
»Begehre mich, Marius. Sag, dass du mich begehrst.
Ich sehe es doch. Bestätige es mir mit Worten. Was kostet es dich?«
»Du machst mich rasend!«, sagte er. Sein Gesicht wurde dunkel vor Zorn, und er presste die Lippen so fest zusammen, dass sie ganz weiß wurden. »Danke den Göttern, dass ich dich nicht begehre! Nicht genug, um für eine kurze, blutige Ekstase die Liebe zu verraten.«
»Die Leute im Tempel wissen nicht, was du wirklich bist, nicht wahr?«
»Nein!«, sagte er.
»Und mir willst du dein Herz nicht öffnen.«
»Niemals. Du wirst mich vergessen, und diese Träume werden verblassen. Ich möchte wetten, dass ich sie selbst zum Verschwinden bringen könnte, wenn ich für dich bete. Das will ich tun.«
»Das ist aber ein frommer Kurs«, sagte ich. »Was verschafft dir eigentlich solche Gunst bei der alten Isis, die einst selbst Blut trank und die ›Urquelle‹ genannt wurde?«
»Sag so etwas nicht; es sind Lügen, alles Lügen. Du weißt doch gar nicht, ob diese Königin, die du sahst, wirklich Isis war. Was hast du denn in diesen Albträumen erfahren? Denk nach. Du hast erfahren, dass diese Kö-
nigin in der Gewalt von Bluttrinkern war und sie verdammte. Sie waren böse. Überleg weiter. Versetz dich zurück in den Traum. Denk nach. Du hieltest die Bluttrinker damals für böse, und du hältst sie auch jetzt noch für böse. Im Tempel spürtest du den Hauch des Bösen. Ich weiß es. Ich habe dich beobachtet.«
»Ja. Aber du, Marius, du bist nicht böse, davon kannst du mich nicht überzeugen! Du hast einen Körper wie aus Marmor, du bist ein Bluttrinker, jedoch wie ein Gott und nicht böse!«
Er wollte protestieren, doch dann hielt er inne. Aus den Augenwinkeln spähte er umher. Und dann drehte er langsam den Kopf und ließ seinen Blick nach oben durch das offene Dach des Peristyls schweifen.
»Kommt der Morgen?«, fragte ich. »Die Strahlen des Amon Ra?«
»Du bist die größte Nervensäge, die ich je kennen gelernt habe!«, sagte er. »Wenn ich dich geheiratet hätte, hättest du mich bald ins Grab gebracht. Das hätte mir all dies erspart!«
»Was alles?«
Er rief nach Flavius, der sich die ganze Zeit über in der Nähe aufgehalten und alles mit angehört hatte.
»Flavius, ich gehe jetzt«, sagte Marius zu ihm. »Ich muss. Aber wache über sie. Wenn die Nacht hereinbricht, werde ich wiederkommen, so schnell ich kann. Sollte mir etwas zuvorkommen, etwa ein verunstalteter, Furcht erregender Angreifer, stürz dich mit dem Schwert auf ihn, ziel auf seinen Kopf. Vergiss nicht: auf den Kopf! Und ganz sicher wird deine Herrin in der Lage sein, dich bei ihrer Verteidigung zu unterstützen.«
»Ja, Herr. Müssen wir Antiochia verlassen?«
»Pass auf, was du sagst, mein treuer Grieche«, bemerkte ich. »Ich bin die Herrin hier. Wir werden Antiochia nicht verlassen.«
»Versuch sie zu überreden, dass sie Vorbereitungen trifft«, bat Marius.
Er sah mich an.
Ein langes Schweigen senkte sich über uns. Ich wusste, er las meine Gedanken. Dann ließen mich die Blutträume erschauern. Ich sah seine Augen leuchten.
Etwas belebte seine Züge. Voller Entsetzen schüttelte ich die Traumbilder ab. Ich beherbergte das Entsetzen nicht bei mir.
»Es ist alles miteinander verflochten«, murmelte ich,
»die Träume, der Tempel, dein Hiersein, ihr Hilferuf an dich. Was bist du: ein guter Gott, auf die Erde geschickt, um die bösen Bluttrinker zu jagen? Lebt die Königin?«
»Oh, ich wünschte, ich wäre ein solcher Gott!«, sagte er. »Wenn ich es nur sein könnte! Einer Sache allerdings bin ich mir sicher: dass nie wieder neue Bluttrinker gemacht werden! Lass sie Blumen auf einen Altar legen, zu Füßen einer Statue aus Basalt.«
Ich fühlte eine solche Liebe zu ihm, dass ich unvermit-telt zu ihm stürzte. »Nimm mich mit dir, auf der Stelle, wohin du auch gehst.«
»Ich kann nicht!«, sagte er. Er blinzelte, als schmerzten ihn die Augen. Er konnte den Kopf nicht richtig heben.
»Das macht wohl das anbrechende Tageslicht. Du bist einer von ihnen!«
»Pandora, wenn ich
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