Annebelle - sTdH 2
London abgereist, wie das mürrische Hausmädchen ihnen mitteilte,
eine Nachricht, die die beiden Jäger beträchtlich deprimierte. Sie dachten
nämlich, der Marquis habe seine Flamme aufs Land mitgenommen.
Doch das
Hausmädchen konnte sich den Zusatz nicht verkneifen: »Meine Lippen sind
versiegelt.«
»Meine
auch«, sagte der Vikar. »Versiegelt vom Staub. Gehen wir also alle zusammen in
den ›Gerstenschober‹ und sehen zu, ob wir den Schaden beheben können. Es
ist schon eine Weile her, daß ich einem hübschen Ding den Arm gereicht habe.«
»Oh, Sir«,
kicherte das Mädchen, wobei ihr die riesige Haube über die Augen rutschte. »Und
Sie sind Geistlicher!«
»Also kann
Ihnen bei mir nichts passieren«, sagte der Vikar mit lüsternen Seitenblicken.
»Kommen Sie. Ich werde nicht von Ihnen verlangen, daß Sie reden.«
Mit
schrillem Kichern ließ sich das Mädchen durch die Tür des Gasthauses schieben.
Nach acht Gläsern Gin-Punsch zwinkerte sie dem Vikar zu und brüstete sich
damit, sie können ihm das eine oder andere erzählen.
»Nein, das
können Sie nicht«, sagte Hochwürden fröhlich. »Ich werde Ihnen etwas
erzählen, mein Mädchen. Sie haben nämlich gar kein Geheimnis in Ihrem hübschen
Oberstübchen.«
»Doch.«
»Weiter«,
forderte der Vikar sie gähnend auf. »Beweisen Sie es.«
»Werden Sie es auch
keinem erzählen?«
»Mein Wort
als Gottesmann«, sagte der Vikar fromm.
» ›Gestohlenes
Wasser ist süß, und heimliches Brot schmeckt fein.‹ Sprüche Salomos, Kapitel 9, Vers 17.«
»Völlig
unpassend«, murmelte der Squire.
»Ach«,
sagte das Mädchen, »ich habe so viel Ärger mit den Gläubigern, die dauernd vor
der Tür stehen. Es ist nicht recht, daß sie in Brighton sind und das
hier mir überlassen, wenn sie mir auch meinen Lohn bezahlt haben.«
»Sie?«
fragte der Vikar leise.
»Meine
Herrin und ihr Freund, Mr. Persalt. Ein reicher Freund hat ihnen seine Villa in
Brighton überlassen.«
»An der
Marine Parade?« fragte der Vikar mit gespielter Gleichgültigkeit.
»Nein,
nichts so Vornehmes für ihresgleichen. Es ist an einem Square. James Square,
Nummer neun, ja, das war es.«
Der Vikar,
der bekommen hatte, was er wollte, wäre auf der Stelle gegangen. Doch Squire
Radford war weichherziger und bestand darauf, noch mindestens zwei Runden
miteinander zu trinken.
»Brighton«,
brummte der Vikar. »Wir wollen irgendwo übernachten und morgen losfahren,
Jimmy. Ich bin hundemüde.«
Doch der
Squire war zäher, als seine schmächtige Gestalt vermuten ließ. »Hast du
gedacht«, sagte er, »daß Brabington, wenn wir dieses Problem nicht schnell
lösen, zu seinem Regiment zurückgehen und Annabelle schon bald zur Kriegswitwe
machen könnte?«
»Oh, diese
verfluchten Liebesleute. Warum plagst du mich so, Herr?« rief der Vikar und
schüttelte die Fäuste gen Himmel. »Also gut, Jimmy. Machen wir uns auf.«
Sie nahmen
die Postkutsche und kamen sehr spät abends in Brighton an. Selbst der Squire
hielt es für klüger, die Untersuchungen erst bei Tagesanbruch fortzusetzen.
Der Vikar
war schlau genug, eine Unterredung mit Mrs. Persalt zu erbitten. Er
erinnerte sich nämlich, daß Dirnen, die ihr übliches Milieu verlassen hatten,
sich gern als verheiratete Frauen ausgaben, sobald sie die Stadtgrenzen hinter
sich wußten.
Mrs.
Persalt war erfreut, den Vikar zu sehen. Sie vermutete, er komme aus einer der
örtlichen Pfarreien und sammle Spenden. Das gab ihr das angenehme Gefühl, zu
den achtbaren Bürgern gezählt zu werden.
Listig ließ
der Vikar sie in diesem Glauben, und bald wurde eine gute Flasche Portwein
serviert. Er hielt sein Pulver trocken, bis er ein Glas davon
geleert und sich ein zweites eingeschenkt hatte.
»Nun, Miss
Evans«, sagte er dann, »das haben Sie ja fein gemacht.« Harriet erbleichte.
»Sie
wollten diesen ganzen Gläubigern nicht Ihre Anschrift verraten, oder?« fuhr
der Vikar fort. »Und jetzt seien Sie ein gutes Mädchen und sagen Sie mir, wer
Sie auf den Streich brachte, den Sie der Marquise von Brabington gespielt
haben.«
»Niemand
hat mich darauf gebracht«, sagte Harriet. »Es war Brabington selbst. Wer sind Sie?«
»Ich bin
der Vater der Marquise von Brabington und der Schwiegervater des Marquis, und
ich gestatte mir, Ihnen zu sagen, Madame, daß Sie gräßliche Lügen verbreitet
haben. Was Sie getan haben, war schamlos. Wissen Sie, daß meine Tochter sich
von ihrem Mann getrennt hat, weil sie jedes Ihrer häßlichen Worte
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