Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
das Geld nicht gelangt. Damals musste man ja für eine Lehre bezahlen und wo soll das Geld herkommen bei neun Kindern?
Da habe ich mich zu einem Bauern verdingt mit 18 Jahren. Bei dem musste ich die ganze Landwirt schaft machen, weil der Bauer Holzhändler war und fast nie daheim war. Ich bin mit den Pferden im Holz gewesen, habe geackert, Heu heimgefahren – das war nicht so schlecht. Mich hat das interessiert.
Ich hab’ mir nie als Kind gedacht, dass ich als Jüngs ter mal im Elternhaus bleiben werde. Der Vater hat einfach entschieden, wer das Haus kriegt. Zwei Brüder sind im Krieg gefallen und da ist er auf mich gekommen. Die Mutter hat ja sowieso nichts zum Sagen gehabt.
Unsere vier Söhne, da hat ein jeder sein eigenes Haus. Wenn wir sterben, werden sie mein Elternhaus mal verkaufen und das Geld aufteilen. Die wollen doch ganz anders wohnen wie wir jetzt, komfortabel mit Toilette, Bad und Heizung – das haben wir ja alles nicht. Nein, wenn wir tot sind, dann wird das Haus bestimmt abgerissen.
Apfelblüte
I n Hilgenreith sind die Bäume aufgeblüht. Hundertfach leuchtet es weiß und rosa aus Annis Obstgarten, bis zu ihrem Haus hinauf. Ein Ereignis, das die Japaner mit dem Hanami-Fest begehen, bei dem die Schönheit und Vergänglichkeit der Kirschblüten gefeiert wird. Aber anders als die Asiaten legen Anni und Alois in dieser Zeit keine Sitzdecken unter ihre Bäume, schenken kein Bier aus und zitieren auch keine Gedichte. Nein, für die Anni sind die Blüten vor allem die ersten Zeichen dafür, wie gesund ihre Bäume sind und ob ihre Veredelungskünste Früchte tragen werden.
Die Anni ist eine Meisterin, ein Profi in der Apfelzucht. Sie gilt als die »Veredelungskünstlerin« mit Spitzengefühl und einer hundertprozentigen Erfolgsquote. Deshalb klingelt von Anfang April bis Ende Mai ihr Telefon auch fünf- bis zehnmal am Tag. Obst- und Gartenbauvereine sind dann dran, Privatleute, Apfel begeisterte. Sie stammen aus ganzen vier Landkreisen, nämlich Grafenau, Regen, Deggendorf und sogar Passau. Die Anrufer brauchen Rat, meist tatkräftige Hilfe vor Ort – die die Anni dann unentgeltlich leistet, nur für ihre Edelreiser nimmt sie ein winziges Taschengeld. Reiser, das sind abgeschnittene, zentimeterlange Triebe von Edelsorten, die zum Veredeln auf andere Obstbäume – die »Unterlagen« – gepfropft werden. Über fünfhundert davon hat Anni letztes Jahr auf niederbayerische Bäume gepfropft und auch heuer geht ihr Material schon zu Ende.
»Ring-ring-ring«, der nächste Anrufer. Doch die Anni winkt schon beim ersten lauten Klingeln entmutigend ab: »Das müssen sie sich früher überlegen, wenn ich kommen soll. Da kann man doch nicht anrufen, wenn die Saison fast vorbei ist«, sagt sie fast empört. Nein, die Anni hat für das Veredeln richtiggehende Anmelde- und Wartelisten, denn für solche Ausflüge muss sie sich Zeit nehmen – auch ihr Obstgarten braucht seine Gärtnerin.
Das Veredeln hat die Anni mit acht Jahren von ihrem Stiefvater gelernt, weil der mit seinem steifen Arm einen Helfer brauchte. Bis heute – so schätzt sie – hat sie unglaubliche drei- bis viertausend Bäume veredelt. In ihrem eigenen Garten stehen fast sechzig Bäume, auf denen durch ihre Veredelungskünste jeweils drei bis 15 Sorten wachsen. So besitzt die Anni über 120 Apfelsorten, dreißig Sorten Birnen, zehn Sorten Kirschen und zehn Sorten Pflaumen.
»So wie andere Teller oder Briefmarken sammeln, so sammel’ ich vor allem Apfelsorten«, kommentiert die Anni ihre Leidenschaft trocken. »Da brauch’ ich wenigstens das Haus nicht vollstellen mit unnützem Zeug, sondern hier draußen im Garten habe ich Platz.« Hier hat sie eine Pflanzensammlung geschaffen, eine, die lebt, die wächst und die sich auch jedes Jahr durch das Wetter verändert – anders wie ein Glasschrank voll alter Porzellanteller. Und es gibt noch viel zu sammeln für die Anni, denn allein in Deutschland sind über 1 500 Apfelsorten dokumentiert; an die meisten kommt man aber nur über Umwege heran. Im normalen Gartengeschäft werden in der Regel bloß dreißig bis vier zig Apfelsorten angeboten. Wer keinen Garten hat, kann im Supermarkt oft nur noch fünf der ursprünglich 1 500 Apfelsorten kaufen. Sogar dabei dominieren noch einmal die drei Sorten »Golden Delicious«, »Jona gold« und »Red Delicious«, die über siebzig Prozent des deutschen Apfelmarktes ausmachen. Eine Ödnis, eine Wüste des Geschmacks und der Formen für Anni.
Von ihrem
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