Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
Berlin zum Arbeiten gehen. Zurückgekommen ist fast keiner mehr …
Mit 15 war ich klein, dick und fleißig. Gelernt hatte ich das Hauswirtschaften, und zwar richtig, in der Klosterschule Neuhaus bei Passau. Ich wäre dageblieben, ich wäre auch ins Kloster gegangen, aber daheim war das Geld knapp, die Not groß. So musste ich nach München, um Geld zu verdienen.
In der Grafenauer Zeitung habe ich dann eine Anzeige gelesen: »Älteres Ehepaar aus München-Stockdorf sucht Hausmädchen. Fleißig und anständig, Lohn 30 Mark monatlich.« Denen habe ich geschrieben und sie haben beim Dorfvorsteher ausrichten lassen, dass ich so schnell wie möglich kommen soll.
Mit einem einfachen grauen Kleid, das ich mir selbst genäht hatte, bin ich eine Woche später in München angekommen. Direkt am Hauptbahnhof. Das war ein Gewusel, da ist mir fast schwindlig geworden. Die vielen Leute, das Geschrei, die Schaufenster, die hohen Häuser. Eine ganz andere Welt wie die aus dem Bayerischen Wald. Viel lauter und hektischer, und so viele Straßen und Steine.
Nach Stockdorf bin ich dann zu Fuß gegangen, mit dem kleinen Koffer in der Hand. 17 Kilometer bin ich gelaufen, aber von zu Hause war ich das weite Gehen gewöhnt. Und da gab es viel zu schauen: der Stachus, das Münchner Rathaus, der Alte Peter und auch bei der Bavaria an der Theresienwiese bin ich vorbei. Der habe ich zugewunken und »Grüß Gott« gesagt. Die kannte ich ja schon aus unseren Schulbüchern.
Das ältere Ehepaar, das die Anzeige aufgegeben hatte, hat mich bereits erwartet. Die waren gleich von Anfang an sonderbar. Kinder waren keine da, er hat geweibert und sie hat den ganzen Tag geeifert. Ein »schönes« Pärchen. Bei denen war ich Hausmädchen und musste putzen, waschen und kochen, den ganzen Tag. »Danke« hat da keiner gesagt.
Mein Zimmer hatte ich auf dem Dachboden. Aber das Dach war alt und marode, da hat es sauber reingeregnet. Im Winter bin ich dann einmal mitten in der Nacht aufgewacht. Gezittert habe ich am ganzen Körper, weil mir so kalt war. Bis über die Nase habe ich mir die Decke raufgezogen. Da habe ich gesehen, dass mein Bett voller Schnee war, über und über. Denn in der Nacht hatte es zu schneien begonnen. Den beiden war das aber egal. Die hatten das Haus nur gepachtet und wollten nichts mehr reparieren. Um mich haben sie sich nicht gekümmert, Hauptsache, bei ihnen in der Wohnung war es warm.
Abb. c: Anni und Alois bei ihrer Hochzeit 1961
Mit 16 Jahren bin ich dann an das Ausbildungszentrum für die Bauindustrie in Stockdorf gekommen. Da bin ich sechs Jahre geblieben. Dreihundert Leute haben da gewohnt, das waren für mich 56 Doppelfenster, dreißig Wasserhähne, acht Flügeltüren, der große Speisesaal, der Lehrsaal, das Zimmer vom Chef, vier Schlafsäle und die großen Gänge zum Putzen. Ich hab’ den ganzen Tag nur geputzt. Und jeden zweiten Sonntag habe ich mit der Köchin kochen müssen.
Aber wenigstens habe ich ein eigenes Zimmer gehabt mit einem eigenen Ofen. Da war es richtig schön warm, aber viel Zeit habe ich nicht auf dem Zimmer verbringen können, dazu gab es zu viel Arbeit. Jedes Jahr sind wir mit dem Betrieb für fünf Tage in Urlaub gefahren, nach Meran, Bozen oder Österreich. So bin ich das erste Mal ins Ausland gekommen.
Abb. d: Motorradfan Alois
In den Schulferien durfte ich nach Hause fahren, da hatte ich frei. Wenn ich heimgekommen bin, dann ist das ganze Dorf zusammengelaufen. Ich war anders angezogen, großstädtisch mit Stöckelschuhen – alles habe ich gerade extra gemacht. Fingernägel und Lippen habe ich rot angestrichen, das hatten die bei uns noch nie gesehen. Und die Weintrauben, Bananen, Orangen und Mandarinen aus der Großmarkthalle, die wollten alle probieren. Die gab es damals nicht zu kaufen in unserer Gegend.
Heimweh hatte ich in München nie – nein, so schön haben wir es daheim nicht gehabt, da gab es auch nur einen Haufen Arbeit. Mit 24 wurde ich dann Haus- und Kindermädchen bei der Firma Strasser in München. Die haben mit Autos gehandelt und waren sehr vermögend. Dauernd sind sie mit dem eigenen Flugzeug rumgeflogen. Für ihre Tochter Rosi, die acht Jahre alt war, hatten sie keine Zeit. Für die war ich die Aufpasserin. Mir haben sie den Hausschlüssel gegeben und gesagt: »Wenn die Rosi schläft, dann können Sie heimgehen.« Aber die Rosi war nicht blöd, die hat genau gewusst, wenn sie schläft, dann gehe ich heim. Jetzt ist das Kind nie eingeschlafen und ich habe meist bis
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