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Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Titel: Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Seidl , Stefan Rosenboom
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mit gelben, roten und schwarzen Himbeeren, deren etwas herben Geschmack sie besonders mag.
    Lange hält sie es draußen sowieso nicht mehr aus, denn bereits jetzt – um 10 Uhr vormittags – erreichen die Temperaturen schon die 30-Grad-Grenze. Der Anni, die Hitze überhaupt nicht aushalten kann, steht schon der Schweiß auf der Stirn und widerwillig spreizen sich ihre dünnen weißen Haare gegen die Macht der hohen Temperatur. Die sonst so klare Sicht auf die Bergkette des Bayerischen Waldes ist heute diesig und trüb. Im Flimmern der Hitze bewegen sich die Hennen immer langsamer, die meisten sitzen schon im Schatten unter den tief hängenden Ästen der Bäume. Auch die Katze Mauckei zieht sich müde auf die ruhige Gartenbank an der Hausmauer zurück.
    Es ist still geworden, fast geräuschlos, im Garten bewegt sich nichts mehr – kein Tier, kein Blatt – die Sommerhitze hält ihren Einzug. Nur kurz hört man noch das Wasserplätschern, die Anni wäscht ihre schmutzigen Füße im eiskalten Wassergrant vor dem Haus ab. Noch ein, zwei, drei Hände voll Wasser, kurz das Gesicht damit erfrischt, dann betritt sie energisch das Haus. In der Stube, auf dem Ofen, steht bereits der alte Aluminium-Entsafter: ein riesiger Topf, in den unten Wasser und oben die Früchte eingefüllt werden. Mit Schwung entleert Anni ihren mit Himbeeren gefüllten Eimer in den Topf, öffnet das alte Küchenbüfett, holt eine Blechdose hervor und fügt noch eine ordentliche Portion Zucker hinzu.
    Aus ihren Beeren macht sie am liebsten Saft, Marmelade oder Sirup. »Vor der gekauften Marmelade graust mir«, lacht die Anni laut beim Einkochen. »Da sind ja lauter Würmer drinnen. Nein, nein, da esse ich lieber die meinige, da weiß ich, was ich habe.« Heiß und noch mal heiß wird es Anni beim Umrühren, ihre Backen sind feuerrot, während der Alois seelenruhig mit langärmeligem Hemd auf seinem Stammplatz auf dem Sofa sitzt. Neugierig beäugt er das Geschehen, abwartend, als wohne er als Zuschauer einem Schauspiel bei.
    »Hast du recht viel Zucker rein?«, bewegt ihn die Frage. Ungerührt rührt die Anni weiter, so als ob sie nichts gehört hätte. Tatsächlich hat sie Probleme mit ihren Ohren und ist leicht schwerhörig. Aber der Alois hat nun einmal eine leise Stimme, was die Anni aufregen kann, wo er doch eigentlich weiß, dass er lauter sprechen muss mit ihr. So dreht sich die Kommunikation der beiden immer wieder im Kreis und ist manchmal recht paradox und schwierig. Denn beide können die Bitte des anderen nicht erfüllen: Der Alois kann gar nicht lauter sprechen, weil das mit seiner Stimme nicht geht. Und die Anni kann nicht besser hören, auch wenn sie es versucht. Dann ist sie sauer, weil er sich nicht anstrengt, und der Alois ist im schlimmsten Fall auch beleidigt, weil sie beleidigt ist.
    Aber fünfzig Jahre Ehe, rund 180 000 Tage miteinan der arbeiten, reden, schlafen gehen, aufstehen – diese enorme Spanne an Lebenszeit lässt beide auch wieder gelassen sein. Und überhaupt ist die Anni überzeugt: »Wenn es in einer Ehe keine Meinungsverschiedenheit gibt, dann ist einer ein Trottel.« Darüber lacht sie herzhaft und lange, aber es ist ihr ernst. Sie weiß, dass sie einen Dickschädel hat, aber auch der Alois kann durch seine langsame Art Menschen auf die Palme bringen, die nicht mit großer Geduld begabt sind.
    Kennengelernt haben sich Anni und Alois 1960 rein »zufällig«, als der Alois sein defektes Motorrad in die BMW-Werkstatt nach Passau brachte. Es war spät, die Werkstatt hatte nur noch kurz geöffnet und da stand der Alois dann – ohne Motorrad und nur mit einem Busticket. Eine kleine Odyssee, die erst einmal in dem Ort Tittling endete, wo die 24-jährige Anni gerade direkt aus München auf dem Weg zu ihrem Heimatdorf war. Zusammen fuhren die beiden jungen Leute im Bus weiter und bald wussten sie, dass sie zusammengehören.
    Wenn man heute den Alois darauf anspricht, was ihm damals so an der Anni gefallen hat, überlegt er lange, sehr lange, und dann antwortet er mit fünf Wörtern: »Mir hat es praktisch gepasst.« Kein Wort über ihr Äußeres, ihre Art, ihren Charakter. Die Anni ist da redseliger: »Der Alois hat so schöne schwarze Haare gehabt, aber heute schaut er nicht mehr so gut aus mit seinen grauen Haaren«, lacht sie wieder, weil sie gern lacht und weil das Alter manchmal zwar bitter ist, aber eben nicht abwendbar oder änderbar. Die Anni hält es wie der römische Philosoph Seneca, der Widerstand für nutzlos

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