Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)
schicksalsergeben. Denn die vier Söhne sind längst zu Hause ausgezogen, berufstätig und haben eigene Familien. Helfen kann den alten Eltern also niemand, sie müssen alles selbst erledigen.
Alle fünf Wochen kommt die Landärztin auf den Einödhof, um nach dem Gesundheitszustand des alten Ehepaars zu schauen, aber meist lässt sich die Anni dann nicht blicken. »Ich brauch’ das ganze Jahr keinen Doktor«, berichtet die Hartgesottene stolz, »bei mir würden alle Doktoren verhungern.« Ein regelmäßiger Puls, ein Blutdruck von 120 zu 70 scheinen ihr ein hohes Alter zu garantieren. Und fast alle Familienmitglieder von der Anni sind über neunzig Jahre alt geworden. Ihre Mutter arbeitete bis zuletzt, dann folgte eine schwere Lungenentzündung und ein schneller Tod. So wie ein Grabsteinspruch auf dem Friedhof in Annis Heimatgemeinde besagt: »Am Morgen ging er fort, am Abend war er dort« – so will die Anni ihr Alter, ihr Leben einmal beschließen.
Doch auch sie hatte schon einige Unfälle und Krankheiten in ihrem langen Leben zu meistern. Sich mit dem Messer eines Motormähers tief zu verletzen, dann die unsachgemäß vom Arzt vernähte Wunde selbst zu versorgen, neu zu verbinden und am Ende die eitrige, aufgesprungene Verletzung allein mit einer Nähnadel zusammenzunähen – das sind so medizinische Horror geschichten à la Anni. Eigentlich unglaublich, triefend vor Blut und Eiter – nichts fehlt in den gruseligen Erzählungen, in denen sie sich als Tapfere und Unempfindliche beweisen muss. Dabei genießt sie das Schaudern des Publikums, das Staunen über ihre Nehmerqualitäten und lacht am liebsten über sich selbst, den Irrsinn der Welt und über die Arroganz der Mediziner. Die Anni, die eiserne Natur, ist eine Anarchistin der Arztpraxen und Krankenhäuser, eine, der es manchmal an Ehrfurcht vor den Göttern in Weiß mangelt.
Eine ihrer abenteuerlichsten Geschichten erzählt die Anni so: Sie geht als Erstes in die Speisekammer und holt daraus eine durchsichtige kleine Plastiktüte mit vier kleinen grauen Steinchen hervor. Die legt sie dann triumphierend vor den Zuhörer hin, mit der harmlos klingenden Frage: »Weißt du überhaupt, was das ist?« – siegesgewiss, dass dieser sowieso nie die richtige Lösung parat haben wird. Wenn der Gast dann zwischen »besonders originellen Zuckerwürfeln« oder »seltenen Gesteinsformationen aus dem Bayerischen Wald« schwankt, kann die Anni herzlich lachen – wie ein dickleibiger chinesischer Buddha. Und mitten in diese Lachsalve hinein schnappt sie tief nach Luft und erklärt amüsiert: »So was hast du noch nicht gesehen, das sind meine Gallensteine, die haben sie mir letztes Jahr rausoperiert.« Die körpereigenen Kristalle darf man dann bewundernd anschauen und anfassen. Ein Anlass für die Anni, erst so richtig mit ihrer Geschichte loszulegen:
Magenschmerzen, richtig starke, habe ich am 25. September 2011 bekommen. Da hat sich alles zusammengezogen, ich hab’ überhaupt keine Luft mehr gekriegt. Die ganze rechte Seite war aufgebläht. Das war eine saubere Kolik, die wünsche ich niemanden.
Die Nacht habe ich dann mit einer Tablette gegen Magenschmerzen hinter mich gebracht, bevor ich am nächsten Tag zum Doktor bin. Geschlafen hatte ich rein nichts. Um viertel nach elf war ich dann im Wartezimmer und habe samt Schmerzen eine geschlagene Stunde warten müssen. Als ich endlich dran war, sitzt der Doktor vor mir und fragt mich, was los ist. Der war eine Aushilfe. Der hat keinen Ultraschall, nichts gemacht und mir Tabletten gegen Blähungen verschrieben. So ein Schmarrn, das war mir gleich klar. Die haben natürlich nichts geholfen und die nächste Nacht war genauso schlimm. Vor allem im rechten Oberbauch hatte ich solche Schmerzen, dass ich dann um 4 Uhr morgens aufgestanden bin, weil ich es nicht mehr aushalten konnte. Da habe ich dann die Kiste mit meinen Äpfeln in die Küche gestellt und einen jeden Apfel von den 60 Sorten mit Permanent Marker beschriftet. »Luna«, »Jonagold«, »Pilnitzer Stein«, »Morgenröte« – irgendwann sind mir dann doch die Augen zugefallen.
Am Vormittag bin ich wieder zum gleichen Arzt, die Sachen für das Krankenhaus habe ich aber gleich mitgenommen. Der Hanswurst hat mich wieder eine ganze Stunde warten lassen, mich kurz untersucht und gefragt, ob ich nicht mit dem Traktor nach Grafenau ins Krankenhaus fahren kann. Da bin ich aber fuchsteufelswild geworden und habe ihn ange schrien: »Für Griechenland, da werfen sie die
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