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Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition)

Titel: Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Seidl , Stefan Rosenboom
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hielt. Von ihm stammt der Satz: »Wer ›ja‹ sagt zu seinem Schicksal, den führt es voran, den Widerstrebenden schleift es mit.«
    Und der Alois hat damals auch »ja« gesagt, weil ihm diese junge Frau »gepasst« hat. Er hat sie noch einmal besucht, auf ihrem Bauernhof, hat mit ihr Preiselbeeren gepflückt, und nach einem Jahr, am 26. Mai 1961, gab es in Innernzell eine richtige Bauernhochzeit. Ein bescheidenes Fest mit fünfzig Gästen, denn normalerweise wurden solche Hochzeiten mit zweihundert bis dreihundert Leuten gefeiert. Auch die drei Musiker, die spielten, konnte man sich nur leisten, weil zwei davon Cousins aus Annis Familie waren.
    Aber beim Hochzeitskleid, da musste etwas Besonderes her. Die Anni hat es bis heute in ihrem Schlafzimmerschrank hängen. Ein durchsichtiger Plastiksack schützt es vor Motten und wenn sie es herzeigt, dann schaut das Kleid zwar etwas altmodisch aus, aber der Stoff ist gut erhalten – fast wie neu. »Das habe ich in der Straße gleich hinter dem Münchner Dom gekauft«, berichtet sie stolz, während sie das Plastik vom Kleiderhaken streift. »Schau mal, wie viel’ Röcke das hat, das sind mehrere übereinander. Taft, Petticoat, Steifleinen und es hat Dreiviertelärmel und vorne am Ausschnitt ist es plissiert.« Eigentlich ist Annis Hochzeitskleid eher unscheinbar, brav geschnitten, wie ein Kommunionkleid für ein großes, stämmiges Kind. In den frühen 60er-Jahren muss es im Bayerischen Wald allerdings etwas Besonderes gewesen sein, denn auf dem Land gab es zu dieser Zeit nur selbst gemachte Kleider, nichts Raffiniertes. Und diesen Spaß, ihr aufsehenerregendes »Münchner Kleid« hat die Anni sich 130 Mark kosten lassen. Fünf Monatslöhne hat sie dafür gespart und es heimlich gekauft. Der Alois hat es erst am Tag der Hoch zeit gesehen. Nach Standesamt, Kirche und Feier im Wirtshaus zog die Anni noch am gleichen Tag zu ihrem Alois und seinen Eltern auf den Einödhof in Hilgenreith. Ein Schlafzimmer im oberen Stockwerk musste vorerst reichen für das frischgebackene Ehepaar.
    »Hast du heuer schon Kirschen gegessen?«, fragt der Alois unvermittelt, während die Anni aus dem Schlauch ihres Entsafters schon die ersten Flaschen auf dem Herd abfüllt. Die Anni kann sich kaum ein Lachen verkneifen und antwortet unschuldig: »Heuer werden keine reif.« Gespielt ernst verschließt sie Flasche um Flasche, bevor die wohlverdiente sommerliche Mittagsruhe eintritt. Die Außentemperaturen sind inzwischen auf 32 Grad geklettert, am Herd ist es unerträglich heiß und die Anni rettet nur ein Frotteehandtuch, mit dem sie sich alle fünf Minuten abtrocknet, vor dem vollständigen Zerfließen.
    Dem Alois macht die Hitze nichts. Aber die Anni tritt die Flucht nach vorn an – das heißt, in ihren dunklen winzigen Keller mit den dicken Granitmauern. Hier lagert sie Marmeladen, Säfte und Sirupflaschen. Wenn der Sommer vorbei ist, dann ist das etwa 1,60 Meter hohe Regal voll mit Eingemachten. Etwa achtzig Gläser Marmelade stellt die Anni so jedes Jahr her und diese Marmeladen werden auch tatsächlich in zwölf Monaten von dem alten Ehepaar aufgebraucht. Der »Hit« ist dabei die Acht-Frucht-Marmelade mit Johannisbeere, Stachelbeere, Jostabeere, schwarzer Apfelbeere, Himbeere, Brombeere, Aprikose und Pfirsich – eine Mischung aus dem Garten, eine Eigenkomposition, die die Anni liebt. Und gerade im Winter, wenn sie ein neues Glas Marmelade aus dem Keller holt, ist es für sie, als ob wieder Sommer wäre, dann erinnert sie sich schon beim ersten Löffel an den Reichtum ihres Gartens.
    Das viele Eingemachte hilft der Anni aber auch sparen. Angenommen, ein Marmeladenglas würde im Laden mindestens 3 Euro kosten, dann hätte sie 240 Euro im Jahr allein durch das Konservieren gespart. Säfte und Sirup noch nicht einmal dazugerechnet. Die Arbeitszeit ist dabei zu vernachlässigen. Was zählt, ist der Geschmack des Sommers.
    Irgendwann sind die Gläser etikettiert und verräumt. Der Vorhang ist zugezogen vor dem Marmeladentheater. Die Anni gönnt sich jetzt eine Stunde Mittagspause im kühlen Keller. Zwischen den alten Kartoffeln vom letzten Jahr, die so lange Triebe haben, dass sie fast wie kleine Tiere mit langen Tentakeln aussehen, sitzt sie auf einem kleinen Holzschemel. Ohne ein Wörtchen zu reden, ohne einen Finger zu rühren, nur ab und zu wischt sie sich die Stirn ab. Sie sitzt einfach nur da, um des Sitzens willen. Und um der Kühle willen, dem Wichtigsten an diesem heißen Tag in

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