Annie und der sinnliche Italiener
Hals schlagen ließen.
Abrupt zog sie ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt und trat zur Seite. Konnte es wirklich sein, dass sich ihr heißblütiger Liebhaber von damals hinter der eisigen Maske dieses Fremden verbarg? „Mi … mi scusa, Signore …“ , formulierte sie etwas holperig.
„Ich spreche Englisch, Signorina “, gab er kurz angebunden zurück.
Diese Stimme!
Als sie eng aneinandergeschmiegt auf dem weichen Fell vor dem Feuer gelegen hatten und er heiße Liebesworte in ihr Ohr flüsterte, hatte sie nicht so kalt und unpersönlich geklungen.
Trotzdem, es war eindeutig Luc!
Damals hatte er mit seinen sechsundzwanzig Jahren den wilden, rastlosen Freibeuter verkörpert, dem keine Frau aus Fleisch und Blut widerstehen konnte. Seine gesamte Energie war auf Eroberung ausgerichtet gewesen. Egal, ob er auf Skiern die Pisten hinuntergerast war oder Annie fast bis zur Besinnungslosigkeit geliebt hatte … er hatte wie ein Getriebener gewirkt.
Seine unterschwellige Energie konnte sie heute noch mit jeder Faser ihres Körpers spüren. Inzwischen schien er sie besser kontrollieren zu können. Das machte ihn allerdings noch gefährlicher.
Annie schauderte unter seinem eindringlichen Blick.
Lucs ohnehin nicht sehr ausgeprägte Geduld nahm mit jeder Sekunde ab, in der die junge Fremde, die in ihn hineingelaufen war, ihn weiterhin anstarrte, als sähe sie einen Geist. Oder als befände sie sich in ihrem schlimmsten Albtraum.
Eine seltsame Reaktion, mit der ihn bisher noch keine Frau konfrontiert hatte!
„Oder sollte ich sagen, Signora ?“, fragte er spöttisch.
Sie blinzelte verwirrt und lachte. „Keine Ahnung. Sollten Sie?“
Ihre ungewöhnliche Reaktion rief eine vage Erinnerung in seinem Unterbewusstsein wach. „Sind wir einander schon einmal begegnet?“
„Sind wir? Sagen Sie es mir …“
Sein Geduldsfaden drohte zu reißen. „Beantworten Sie eigentlich jede Frage mit einer Gegenfrage?“
Annies Lächeln schwand. Soll er doch fragen, soviel er will!dachte sie trotzig. Ich werde ihn bestimmt nicht aufklären!
In all den Jahren war ihre größte Angst gewesen, dass sie Luc irgendwo und irgendwann unverhofft gegenüberstehen würde. Denn eines war klar, sollte dieser Tag irgendwann kommen, dann würde dieses Zusammentreffen ihr Leben auf eine Weise verändern und komplizieren, die sie sich gar nicht auszumalen wagte!
Jetzt war der gefürchtete Tag da, und Luc erkannte sie noch nicht einmal!
Die Erleichterung, die sie darüber hätte empfinden müssen, wurde von einem seltsamen Gefühl der Enttäuschung überlagert. Denn dieser Mann, der sichtbar gereizt und mit grimmigem Blick vor ihr stand, war es gewesen, dem sichAnnieungeachtet ihrer sonstigen Zurückhaltung vor viereinhalb Jahren hingegeben hatte. Und das rückhaltlos und voller Leidenschaft – obwohl sie ihn gar nicht kannte! Erst durch Luc hatte sie sich selbst als sinnliche, leidenschaftliche Frau kennengelernt. Und jetzt musste sie feststellen, dass die eine unvergessliche Nacht, die in ihrer Erinnerung immer noch unglaublich lebendig war, ihm offensichtlich gar nichts bedeutet hatte.
Arroganter Mistkerl!
Annie reckte ihr Kinn vor und funkelte Luc wütend an. „Ich bin sicher, zumindest einer von uns würde sich erinnern, wenn wir uns schon einmal über den Weg gelaufen wären, Signore !“, erklärte sie kryptisch.
Ob das Statement wirklich so lässig und cool gemeint war, wie es im ersten Augenblick klang? Luc war nicht sicher. Die aggressive Kopfhaltung und der verärgerte Unterton in der leicht rauen Stimme der Fremden erzählten eine ganz andere Geschichte. Und zwar eine, die ihn in keinem rosigen Licht erscheinen ließ.
Als einziger Sohn und Erbe einer ebenso reichen wie mächtigen Industriellenfamilie war er sehr privilegiert aufgewachsen. Daran gewöhnt, dass man ihm jeden Wunsch von den Augen ablas, hatte er sich zu einem arroganten jungen Draufgänger entwickelt, der absolut überzeugt von seiner eigenen Unfehlbarkeit war.
Nachdem sich auch noch herauskristallisiert hatte, dass er offenbar mit dem Geschäftssinn seines Vaters gesegnet war, hatte dieser ihn bereits mit achtzehn Jahren auf einen verantwortungsvollen Posten innerhalb des Familienimperiums gesetzt. Das war so lange gut gegangen, bis Luc in jugendlichem Leichtsinn und grenzenloser Selbstüberschätzung viel zu waghalsig am Aktienmarkt spekuliert und damit die väterliche Firma an den Rand des Ruins getrieben hatte.
Lucs ausdrucksvoller Mund
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