Annies Entscheidung
bin sicher.“
Seine Lippen verzogen sich zu dem ebenso selbstsicheren wie verführerischen Lächeln, von dem sie viel zu oft träumte. Lächerlich, dachte sie. Sie hätte sich nicht seit Jahren von allen Männern fern halten sollen, dann wären die Erinnerungen an diesen einen vielleicht längst verblasst.
Auf Wills Hochzeit hatte sie sich vor ihm erniedrigt. Ihr jugendlich aufgeblähtes Ego hatte sie glauben lassen, dass er sie begehrte. Was vermutlich daran gelegen hatte, dass sie ihn nur anzusehen brauchte und schon wurde ihr heiß.
Na ja, die Idee hatte er ihr gründlich ausgetrieben.
Er hätte die Situation ausnutzen können, doch das hatte er nicht getan. Selbst sein verwegenes Lächeln konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er strenge Maßstäbe an sich legte, genau wie Will. Vermutlich ging er nicht einmal bei Rot über die Straße.
„Bist du gar nicht neugierig, Annie?“
Sie griff nach dem Handtuch, als ein Windstoß es vom Liegestuhl zu reißen drohte, und drehte es in den Händen. „Worauf? Warum Riley wirklich von zu Hause weggelaufen ist? Ich bezweifle, dass es dabei nur um Bendlemaier geht.
Noelle hat mir erzählt, dass Riley es durchaus versteht, ihren Willen durchzusetzen.“
„Das ist alles, worauf du neugierig bist? Rileys Motive?“ Wieder trat er näher.
Hinter ihnen wehte ein bunter Ball über den Strand, gefolgt von einem Fetzen Papier. Einmal mehr wurde Annie bewusst, wie einsam ihr Haus lag. Die nächsten Nachbarn wohnten über eine Meile entfernt.
Sie schluckte. „Mehr an Neugier kann ich mir nicht leisten.“
„Das klingt aber nicht nach der Annie, die ich mal kannte.“
Ihre Augen brannten. Es musste am Wind liegen, denn sie weinte nicht. Nicht mehr. „Die Annie, die du mal kanntest, gibt es nicht mehr“, sagte sie kaum hörbar. „Sie hat ihre Lektionen auf die harte Tour gelernt.“
„Welche Lektionen?“ Sein Kopf zuckte hoch, noch bevor er die Frage ganz ausgesprochen hatte.
Ein ohrenbetäubendes Heulen übertönte das Rauschen der Brandung. Annie zuckte zusammen. „Was ist das?“ rief sie, kurz bevor es im noch lauteren Donner über ihren Köpfen unterging.
Logan packte ihren Arm und schob sie ins Haus. „Das ist die Alarmsirene. Ein Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg. Hol Riley.“
Annie lebte seit fünf Jahren auf Turnabout und hatte nicht einmal gewusst, dass es eine Alarmsirene gab. Sie rannte zum Gästezimmer, riss die Tür auf und rief Rileys Namen.
Aber der Raum war leer.
4. KAPITEL
Annie blieb fast das Herz stehen.
Riley war nicht in ihrem Zimmer.
Obwohl sie genau wusste, dass sie nichts als die Kartons mit ihren Fotos finden würde, rannte sie hinein und schaute unter dem Bett nach. Dann riss sie den Schrank auf, der außer dem Staubsauger nur die Sachen enthielt, die sie nicht mehr anzog.
„Riley?“ Stolpernd umrundete sie das Bett, um aus dem Fenster zu sehen, und sprang mit einem Aufschrei zurück, als ein Palmwedel gegen den Rahmen knallte und über die Wand schrammte.
Sofort war Logan da. Er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie von der noch immer vibrierenden Scheibe fort. „Bleib vom Glas weg.“
Annie wand sich aus seinem Griff, hastete auf den Flur und rief immer wieder Rileys Namen, obwohl ihre Stimme gegen die heulende Sirene kaum etwas ausrichten konnte.
Innerhalb weniger Minuten war die Dunkelheit hereingebrochen, und in immer kürzeren Abständen tauchten Blitze das Strandhaus in grelles, kaltes Licht. „Sie ist nicht hier“, schluchzte Annie und rannte zur Tür. Doch Logan stellte sich ihr in den Weg. „Ich muss sie finden!“
„Du hast ja nicht einmal Schuhe an“, erwiderte er ruhig. „Ich gehe.“ Er öffnete die Tür, und der Wind riss sie ihm aus der Hand, so dass sie gegen die Außenwand schlug. „Bleib hier. Im Haus. Sie kann nicht weit gekommen sein.“
Kaum war er verschwunden, eilte Annie auch schon in ihr Schlafzimmer, um sich Schuhe anzuziehen. Dann folgte sie ihm.
Binnen weniger Sekunden war ihr Sweatshirt durchnässt, und das wild um den Kopf flatternde Haar nahm ihr fast die Sicht, während der Sturm ihre Rufe verschluckte und die unaufhörlich heulende Sirene ihre Panik nur noch steigerte.
Wo war Riley?
Logan hatte den Weg genommen, der vor dem Haus verlief. Also steuerte Annie den Strand an. Trotz des strömenden Regens wirbelte der Sand durch die Luft, und sie musste die Augen zusammenkneifen, als sie an der schwarzen kalten Feuergrube vorbei dorthin rannte, wo die brodelnde
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