Annies Entscheidung
heute gab.
Nachdem sie bestellt hatten und der als Kellnerin jobbende Teenager wieder verschwunden war, herrschte am Tisch angespanntes Schweigen. Logan sah sich um. Ein Paar mittleren Alters mit Sonnenbrand im Gesicht und nagelneuer Freizeitkleidung stritt sich leise. Rechts von ihnen saß eine junge Frau. Sie las ein Taschenbuch und hob hin und wieder den Kopf, um die anderen Gäste zu betrachten, während sie in ihrer Suppe rührte. Logan sah ihr an, dass sie sich mehr für die Menschen um sie herum als für das Essen interessierte. Hinter ihr konnte ein Pärchen kaum lange genug die Hände voneinander lassen, um in seine Sandwichs zu beißen. Die sind auf Hochzeitsreise, dachte Logan und beobachtete, wie die Frau einen Schuh abstreifte und mit den Zehen über die Wade des Mannes strich.
Logan unterdrückte ein Lächeln, bevor er zurück zu Annie schaute. Ihre Miene war verschlossen. Riley studierte ihre Fingernägel – sie waren pechschwarz lackiert und sahen aus, als hätte sie mit bloßen Händen Kohlen geschaufelt.
Will hatte ihm ein Schulfoto gezeigt und angedeutet, wie ähnlich sie ihm sah.
Aber jetzt, da er sie vor sich sah, erschien ihm das übertrieben. Ihre Miene verhärtete sich, als sie seinen forschenden Blick bemerkte. Sie rutschte auf dem Stuhl herum und verschränkte wieder die Arme.
Klassische Abwehrhaltung.
„Ich schätze, ich brauche dich gar nicht erst zu fragen, ob du und Sara nach eurem Abschluss in Bendlemaier in Verbindung geblieben seid“, wandte er sich an Annie. Ihm entging nicht, dass Rileys Gesicht sich noch mehr verfinsterte, als sie den Namen hörte. Auch darauf hatte sein Freund ihn vorbereitet.
Will und Noelle wollten ihre Tochter auf das exklusive Internat schicken. Aber offenbar war Riley davon ebenso wenig begeistert wie Annie damals.
Annies Lächeln wirkte gezwungen. „Ich… habe keinen Abschluss in Bendlemaier gemacht. Aber wir sind in Kontakt geblieben, als sie aufs College ging. Wir hatten schon lange davon gesprochen, unser eigenes Geschäft aufzumachen, und als sich die Gelegenheit ergab, haben wir zugegriffen.“
Aus irgendeinem Grund hatte Logan angenommen, dass Annie mit Sara auf dem College gewesen war. Das bewies, wie wenig er über seine Schwester wusste. Er fragte sich, ob Sara sich auch so sehr verändert hatte wie Annie. Obwohl er geplant hatte, nur zu tun, was getan werden musste, und sofort wieder zu verschwinden, stieg ihm plötzlich der Wunsch auf, seine kleine Schwester wiederzusehen.
In den letzten zehn Jahren hatte er ein paar Mal telefoniert, mehr nicht. Er erinnerte sich noch daran, wie sie ihn bei ihrer letzten Begegnung angesehen hatte. Verwirrt. Verletzt. Er hatte sich schrecklich gefühlt, denn er hatte gewusst, dass er niemals nach Turnabout zurückkehren würde, um ihr ein richtiger Bruder zu sein. Stattdessen hatte er sie angerufen und ihr Geld geschickt, um sein Gewissen zu beruhigen. Nach einigen Jahren hatte er es geschafft, sich einzureden, dass es gut so war.
Aber er war nicht hier, um seine eigenen familiären Probleme zu lösen. Also betrachtete er Annie einen Moment lang. Will hatte ihm erzählt, dass seine Tochter bei ihr wohnte, also hatte er damit gerechnet, sie zu sehen. Aber nicht mit den Gefühlen, die es in ihm auslöste. „Dein Haar war mal länger, nicht wahr?“ Er wusste genau, wie lang es gewesen war. Schimmernde, wilde hellblonde Locken, die bis zur Taille reichten. Und vor all den Jahren hatte sie diese Mähne wie einen Schild gegen jeden Mann eingesetzt, der in ihre Nähe kam.
„Ja.“ Sie steckte die Gabel in ihr Wasserglas, spießte die Zitronenscheibe auf und drückte sie aus. Ihre Wangen waren leicht gerötet. „Du hast dich kaum verändert.“ Sie warf Riley einen Blick zu. „Du bist älter geworden, aber sind wir das nicht alle?“
„Ich finde diese Nostalgie zum Kotzen“, sagte das Mädchen.
„Dann dreh dich weg, sonst verdirbst du uns noch den Appetit“, erwiderte Logan sanft.
Sie funkelte ihn an, und fast hätte er gelächelt. So war ihre Tante auch gewesen.
Trotzig. Widerspenstig. Vor fünfzehn Jahren war die Mode anders gewesen, aber Riley trug ihre Sachen genauso eng und provozierend wie Annie damals.
Er starrte auf Annies gesenkten Kopf. Jetzt war an ihrer Erscheinung nichts Aufreizendes mehr. Das Kleid unter dem langen khakifarbenen Pullover war weit, der Kragen so hochgeschlossen, dass er selbst den Ansatz ihres schlanken Halses verdeckte.
Am linken Handgelenk trug sie eine
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