Annies Entscheidung
„Als wir jung waren, wollte er unbedingt von hier weg, genau wie ich.“
Annie drehte ihr Glas zwischen den Händen. „Wenn du dich öfter bei Sara gemeldet hättest, hätte sie es dir bestimmt erzählt.“
Riley schnaubte. „Das ist ja nicht auszuhalten. Ich verschwinde.“
„Wohin willst du?“
„Zurück ins Haus oder so.“
Logan beobachtete Annies Mienenspiel. Auf Angst folgte erst Zögern, dann Resignation. Sie gab ihrer Nichte die Schlüssel. „Du kannst auf den Laden aufpassen, bis ich komme.“
„Du vertraust mir?“ fragte ihre Nichte.
„Du willst doch nicht anderswohin?“
Weg von der Insel, übersetzte Logan.
„Nein.“ Das Mädchen stand auf, drehte sich auf dem Absatz um und eilte davon.
Logan sah ihr nach. Er hatte bereits mit Diego Montoya gesprochen, der die einzige Fähre zum Festland betrieb, und erfahren, dass der alte Mann bereits die Augen nach Riley Hess offen hielt. Falls sie die Insel verlassen wollte, würde sie es nicht mit Diegos Hilfe tun können. Die anderen Bewohner besaßen höchstens ein kleines Segelboot. Nur ein Idiot würde versuchen, damit das Festland zu erreichen.
Annie schob ihren Salat von sich. „Riley hat Recht. Will hat dich hergeschickt. Ich wusste gar nicht, dass ihr zwei überhaupt noch Kontakt habt.“
„Ich war zufällig in Olympia und habe ihn besucht. Er hat mir erzählt, dass Riley weggelaufen ist.“
Sie zog die Augenbrauen hoch. „Zufällig, ja? Und wie praktisch, dass dein Beraterjob dir erlaubt, auf eine kaum bekannte kleine Insel zu kommen, wenn dir der Sinn danach steht.“
„Ich bin gerade zwischen zwei Einsätzen.“ Das war nicht gelogen. Obwohl er nicht wusste, wie er einen weiteren Einsatz wie den letzten verkraften würde. Er hatte Cole erklärt, dass er eine Pause brauchte – und genau deshalb war er jetzt hier. Aber es war nicht Will gewesen, der ihn darum gebeten hatte, nach Turnabout zu fahren, sondern Cole. Offenbar hatten sein Chef und Will irgendwelche gemeinsamen Interessen, von denen er bisher nichts gewusst hatte.
Annies Lippen waren schmal. „Dein Job – was immer er ist – spielt eigentlich keine Rolle. Will hätte selbst herkommen müssen.“
Logan war ganz ihrer Meinung und hatte genau darüber mit Cole und Will diskutiert. „Dein Bruder wollte verhindern, dass Riley eine noch größere Dummheit begeht.“
„Sie hat gedroht, wieder wegzulaufen, falls er ihr folgt.“
„Das habe ich gehört.“
„Aber sie muss wieder nach Hause.“
Annie wirkte angespannt, aber entschlossen. So hatte er sie sich nicht vorgestellt. „Macht sie dir Schwierigkeiten?“
„Nein, natürlich nicht.“ Sie schien mehr sagen zu wollen, tat es jedoch nicht.
„Hat sie dir erzählt, warum sie ausgerissen ist?“
„Riley vertraut sich mir nicht an.“
Er runzelte die Stirn. „Annie, Riley ist nicht einfach abgehauen und untergetaucht. Sie ist zu dir gekommen.“
Annie schüttelte den Kopf. „Sie war einfach nur neugierig auf das schwarze Schaf der Familie, das es unverständlicherweise vorzieht, auf einer kleinen Insel zu leben.“
Schwarzes Schaf? Eher ein Lamm, das sich verlaufen hatte. „Will und Noelle wollen Riley nach Bendlemaier schicken.“
„Es ist eine gute Schule.“
Logan musterte sie. „Du hast es dort gehasst.“
„Der Lehrplan ist…“
„Du hast es als Gefängnis bezeichnet.“
„Ausgezeichnet. Riley ist sehr…“
„Du hast alles getan, um von dort wegzukommen.“
„Intelligent. Sie wird einen hervorragenden Abschluss machen.“
„Offenbar hast du es geschafft. Schließlich hast du selbst zugegeben, dass du dort keinen Abschluss gemacht hast.“ Ihr Gesicht kam ihm bekannt vor. Aber die Ähnlichkeit mit der alten Annie war gleich null. „Das haben deine Eltern vermutlich auch gesagt, als sie dich nach Bendlemaier geschickt haben. Dass du einen hervorragenden Abschluss machen würdest.“
Sie straffte die Schultern. „Du hast nie viel von mir gehalten, Logan. Aber willst du mich wirklich mit George und Lucia Hess in einen Topf werfen?“
Verärgert beugte er sich vor. „Was zum Teufel ist mit dir passiert, Annie?“
„Ich bin erwachsen geworden“, erwiderte sie gleichmütig. „Und was ist mit dir passiert? Du bist doch derjenige, der nach Wills und Noelles Hochzeit wie vom Erdboden verschwunden ist.“
Wenn sie es wüsste, würde sie ihn nie wieder in Rileys Nähe lassen. „Um mich geht es hier nicht.“
„Um mich auch nicht. Es geht um Riley und die Tatsache, dass du sie
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