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Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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Haus am Hosjön. Ein klassisches schwedisches Doppelhaus.
    Die Tür ging auf, und drei Frauen kamen heraus. Sie starrten Annika an. Sie mussten diesem Inbegriff der schwedischen Bau­tradition entstiegen sein, aber sie erkannten sie nicht, sie sahen nur eine Person, die nicht hierher gehörte und viel zu skeptisch schaute.
    Sie wandte den Blick ab.
    Auf dem grünen Teil des Friedhofs fand eine Beerdigung statt. Eine Gruppe hatte sich um ein Grab versammelt, das sie nicht sehen konnte. Aus einem scheppernden Lautsprecher drang eine andächtige Männerstimme.
    Annika stand ganz still und lauschte. Die Stimme des Mannes hob und senkte sich. Einige der Beerdigungsgäste hielten große Regenschirme in der Hand.
    Über die Schulter warf sie einen Blick zum Tor, sah Fridas und Halenius’ Silhouetten im Auto. Sie saßen still nebeneinander, schienen zu schweigen.
    Weiter oben auf dem Friedhof befanden sich ein paar größere Gräber, kleine Mausoleen aus Blech oder Backstein. Dort könnte man vielleicht zwei Sporttaschen verstecken.
    Sie ging hinüber zum ersten Grabhäuschen. Das Dach war mit roten Ziegeln gedeckt, die Wände bestanden aus durchbrochenem, türkis angemaltem Schmiedeeisen und die Grabplatte aus weißen Kacheln.
    Blessed are the pure in heart for they shall see God.
    Der Mann war 1933 geboren und 2005 gestorben. Auf dem Grabstein klebte ein verblichenes Foto von ihm, und der Mann schien zu lächeln, fand Annika. Rote Erde war hereingeweht und hatte sich auf die weißen Kacheln gelegt. Er war 72 Jahre alt geworden. Er musste geliebt worden und wohlhabend gewesen sein. Als sie sich umwandte, um weiterzugehen, trat sie auf eine leere Plastikflasche, die im Gras verborgen lag und halb von Erde bedeckt war. Sie gab ein Knirschen von sich, als Annika den rechten Fuß hob. In der Nähe des Grabes erkannte sie Spuren eines größeren Feuers, verkohlte Äste und Müllreste, lila Plastik und karierten Stoff, ein kaputter Autoreifen. Vielleicht hatte die Flasche unter ihrem Fuß einen Weg gesucht, um gemeinsam mit dem reinherzigen Mann begraben zu werden.
    Halenius hatte sich nicht gerührt.
    Eigentlich mochte sie Friedhöfe. Sie sollte häufiger ihre Groß­mutter besuchen gehen.
    Annika kniete zwischen zwei Gräbern nieder. Charles war im Alter von zwölf Jahren gestorben. Auf Lucys Grab hing auch ein Foto am Kreuz, aber es war so ausgeblichen, dass nur noch der Umriss ihrer Haare erkennbar war. Gesichtslose Lucy – das Unkraut auf ihrem Grab stand hoch.
    Sie schaute in den Wind. Ob Charles und Lucy geboren worden wären, wenn sie die Wahl gehabt hätten? Sie hätte sie gern gefragt, denn sie hatten die ganze Reise bereits hinter sich und waren zurückgekehrt, sie wussten die Antwort.
    Großmutter hätte sich auf jeden Fall dafür entschieden. Sie hatte gerne gelebt. Sie freute sich an den vielen kleinen Dingen, am Pilzesuchen und am Kerzenlicht und am Freitagabendprogramm im Fernsehen.
    Und sie?
    Annika holte Luft, Bilder wirbelten durch ihren Kopf, wie Groß­mutter sie aus dem See fischte, als sie als Siebenjährige auf dem Hosjön im Eis eingebrochen war (sie hatte doch nur ausprobieren wollen, ob es hielt). Wie Großmutter die Leiter holte, als sie in der Lärche bis ganz nach oben geklettert war und sich nicht wieder heruntertraute. Wie Großmutter sie dazu ermunterte, sich an der Journalistenhochschule zu bewerben, obwohl noch keiner aus ihrer Familie die Universität besucht hatte: »Woher willst du wissen, ob du es schaffst, wenn du es nicht ver­suchst?«
    Annika schluckte. Was hätte sie geantwortet, wenn sie an der Pforte zum Erdenleben gefragt worden wäre, ob sie es versuchen wolle? »Nein, es kommt mir ein bisschen zu anstrengend vor, ich lasse es lieber.« Hätte sie zum ersten und einzigen Mal etwas Unbekanntes und möglicherweise Beschwerliches aus reiner Bequemlichkeit abgelehnt?
    Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute hinauf in die Regenwolken.
    Also hatte sie die Wahl gehabt.
    Sie hatte sich entschlossen herzukommen. Vielleicht war das entscheidend. Vielleicht kam man gar nicht her, wenn man sich nicht freiwillig meldete. Charles und Lucy hatten sich auch dafür entschieden.
    Sie blinzelte in Richtung der Langata Road, und ihr Blick blieb an einem Grab hängen, das noch ganz braun war. Eine geliebte Partnerin, Mutter und Großmutter.
    Sunrise: 1960. Sunset: 2011.
    May the Lord rest her in peace.
    Sonnenaufgang. Sonnenuntergang. Wie wunderschön.
    Ihr Foto war noch ganz deutlich. Sie

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