Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Annika Bengtzon 09: Weißer Tod

Titel: Annika Bengtzon 09: Weißer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
Vom Netzwerk:
konnte sie unter ihnen den Slum von Kibera verschwinden sehen. Hinter den Hütten ragte das Stadtzentrum Nairobis mit dem runden Gebäude des Hilton auf, gleich daneben erkannte sie das Kenyatta International Conference Center und die vierspurige Autobahn der Chinesen.
    Die Maschine rüttelte und wackelte. Sie hielt sich am Sitz fest und blickte durch das Fenster auf ihrer Seite. Die Landschaft war flach. William Grey zeigte auf Plätze und Landmarken, auf den vor Dreck schäumenden Fluss Nairobi und den Mount ­Kenya mit seinem schneebedeckten Gipfel im Nordwesten. Die viereckigen Wasserflächen auf der rechten Seite gehörten zu ­einem Klärwerk. Die Videokamera lag vor ihren Füßen, vermutlich hätte sie filmen müssen, aber sie konnte sich nicht dazu durchringen.
    »Wir brauchen zwei Stunden und zwanzig Minuten bis Liboi«, sagte in den Kopfhörern der Pilot. »Habt ihr Hunger? In der Tasche hinter euren Sitzen sind Sandwiches.«
    Sie holten die Sandwiches hervor und reichten eins an den Piloten weiter. Die Brotbissen in Annikas Mund wurden immer größer, sie meinte, daran zu ersticken. Sie trank einen Schluck Wasser und musterte die Tür, die sie vom Himmel trennte. Sie war dünner als eine Autotür. Es gab kein Schloss, nur einen kleinen verchromten Handgriff und einen Aufkleber, auf dem CLOSE stand. Zwangsvorstellungen schossen ihr durch den Kopf und begannen einen wilden Tanz. Was ist, wenn. Was ist, wenn ich die Tür nicht richtig zugemacht habe. Was ist, wenn ich gegen den Handgriff komme und die Tür aufgeht. Was ist, wenn die Scheibe platzt. Wenn ich aus dem Flugzeug falle, kann ich das Lösegeld nicht abliefern, und dann wird Thomas nicht freigelassen, und die Kinder müssen bei Sophia bleiben.
    »Seht ihr das Grüne dort unten?«, fragte der Pilot. »Del Montes Ananasplantagen. Und das etwas dunklere Grün? Kaffeesträucher.« Es machte dididitt dididitt dididitt in den Kopf­hörern, als die Mobiltelefone an die Bodenstationen meldeten, wo sie sich befanden.
    »Das da ist die Straße nach Garissa. Und jetzt überfliegen wir das Gebiet der Wakamba. Sie sind tüchtige Acker­bauern.«
    Die Landschaft unter ihnen wurde plötzlich zu einem surrea­listischen Gemälde, grobe, ausholende Pinselstriche in stumpfen Farben überlappten sich kreisend. Ein Fluss wand sich durch das Land wie eine Schlange. Gerade hellbraune Straßen aus festem Sand schnitten durch das Bild.
    »Das ist Nairobis Wasserreservoir.«
    Ein See breitete sich linker Hand aus.
    Ist er dort unten? Fliegen wir in diesem Moment über ihn hinweg? Sieht er das Flugzeug? Weiß er, dass ich unterwegs bin? Spürt er, dass ich schwebe?
    Tansania verschwand im Süden, Uganda näherte sich von Nordwest. Sie passierten Garissa.
    »Nun gibt es keine Landmarken mehr, bis wir zum Flüchtlingslager in Dadaab kommen. Bis zur Grenze ist nur noch flat bushland . Ich steige jetzt auf 4000 Meter. Es kann etwas kalt werden, aber auf dem Boden liegen Decken …«
    Die Kälte kroch ihre Schienbeine hinauf, feucht und scharf. Sie nahm eine der Decken, eine dunkelblaue Polarvide von IKEA .
    »Wie oft fliegen Sie Lösegeld?«, fragte Annika.
    »Meistens fliege ich Touristen von Kenyatta, die direkt zu den Safari-Lodges raus wollen, und außerdem habe ich eine Menge Einsätze mit Spritzmitteln. Aber ich habe Kollegen, die fliegen gar keine Touristen mehr, sondern nur noch Lösegeld.«
    Sie empfand seine Worte beinahe als Kränkung. Sollte das hier nur ein gewöhnlicher Arbeitstag sein, einer wie viele, diese Woche die verzweifelte Frau mit ihrem verstümmelten Mann?
    »Was sagen die Behörden dazu? Wissen die, dass Sie Lösegeld fliegen?«
    Er drehte sich um und lächelte sie an.
    »Nicht direkt«, sagte er und reichte ihr ein Dokument mit den Stempeln Office of the President und Police Headquarters . Clearance Certificate is hereby granted .
    Sie überflog den Text.
    Unter der Rubrik Purpose war der Zweck der Reise angegeben: »To carry out EEC conservation and community development project.«
    Bei den kenianischen Behörden war dieser Flug als Hilfseinsatz deklariert, als Versuch, die Entwicklung und das Wohlergehen der Bevölkerung im Garissa District im Nordosten Kenias an der Grenze zu Somalia zu unterstützen.
    Das Dokument war unterzeichnet vom Commissioner of Police .
    Sie gab es dem Piloten zurück und wischte sich die Hände ab, als wären sie schmierig.
    »Wie oft bringen Sie die Geisel zurück?«, fragte Halenius.
    »Meistens«, sagte William Grey.

Weitere Kostenlose Bücher