Anonym - Briefe der Lust
Brauen über ihren schwarz verschmierten Augen zusammenzog. „Dein Herz ist nicht gebrochen. Du bist nicht mal mit ihm ausgegangen. Und er hat auch nicht mehr das Schwanz-Piercing.“
Sie starrte mich an. Plötzlich hielt ich für möglich, dass sie vielleicht gar nicht so betrunken war, wie ich gedacht hatte. „Hast du mit Jack geschlafen?“
„Vor Ewigkeiten.“
„Du hast Jack gefickt?“ Kira ballte die Fäuste und öffnete sie gleich darauf wieder, während sie in sich zusammensank. „Ich dachte, du bist meine Freundin!“
„Es ist ewig her, Kira, und du warst nicht …“
„Das ist egal!“, schrie sie, und mir war klar, sie hatte recht.
„Du wusstest, was er mir bedeutete! Ich habe ihn geliebt!“ Ich hatte ihn nie geliebt. „Es tut mir leid.“
Kira wühlte ihr Handy aus ihrer Tasche und hackte mit ihrem Fingernagel auf den Tasten herum. Sie wandte mir den Rücken zu. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass sie nicht versuchte, mir ins Gesicht zu schlagen, wie sie es bei Jack gemacht hatte. Mir war kalt, und es rumorte in meinem Bauch.
„Deine Entschuldigung kannst du dir sonst wo hinstecken.“ Als Nächstes sprach sie in ihr Telefon. „Ich bin’s. Komm her und hol mich ab. Klar weiß ich, wie spät es ist. Ich warte vor Tom’s Diner in der Second Street. Harrisburg, du Blödmann.“
Sie steckte das Handy wieder weg und stöckelte den Gehsteig entlang, ließ mich einfach stehen.
„Kira!“ Ohne auch nur langsamer zu werden, zeigte sie mir einen Vogel. Kein Gedanke, dass ich sie auf meinen Zehn-Zentimeter-Absätzen einholen konnte. Ich hoppelte aber tapfer hinter ihr her. „Kira, komm schon. Warte mal.“
„Du behauptest, meine Freundin zu sein“, stieß sie hervor, und ihr anklagender Ton war schlimmer als eine Beleidigung oder ein Schlag ins Gesicht. „Himmel, Paige. Dass du etwas tun kannst, heißt nicht immer, dass du es auch tun solltest, ist dir das klar? Wir sind nicht mehr in der Highschool.“
Ich gab es auf, sie einholen zu wollen. „Ach, tatsächlich? Und einen Kerl auf offener Straße zu beschimpfen, wenn er mit einem anderen Mädchen unterwegs ist, hat nichts mit der Highschool zu tun?“
„Das ist etwas anderes!“
„Inwiefern anders?“
„Du wusstest, wie viel mir an Jack lag!“, schrie Kira.
Wir hätten mehr Aufmerksamkeit erregt, wäre es nicht Freitagabend kurz nach der Sperrstunde der Bars gewesen. So waren wir einfach nur zwei weitere Schlampen, die sich um einen Kerl stritten. In der Highschool hätte ich sie ebenfalls angeschrien oder sie vielleicht ein bisschen an den Haaren gezogen.
Aber wie wir bereits festgestellt hatten, waren wir nicht mehr in der Highschool.
Ich biss mir auf die Zunge, um sie nicht doch anzubrüllen, trotzdem klang meine Stimme böse und scharf. „Ich habe dir schon gesagt, dass es mir leidtut. Du warst nicht mit ihm zusammen. Ihr hattet nie auch nur ein einziges Date. Und zu der Zeit, als ich etwas mit ihm hatte, hast du nicht mal mit mir gesprochen.“
Sie zögerte einen Moment. Ihre Wimpern flatterten und ihre Lippen bewegten sich, als wollte sie etwas richtig Schreckliches sagen, heraus kam aber nur: „… nun ja. Du hättest es trotzdem nicht tun sollen.“
Ich verzichtete darauf, die unzähligen Typen zu erwähnen, die mir gefallen hatten, und die Kira gevögelt oder versucht hatte zu vögeln, oder von denen sie behauptet hatte, sie hätte sie gevögelt, um mir wehzutun. Ich sagte nichts, starrte sie nur an, und schließlich hatte sie die Gnade, ihren Blick abzuwenden. Statt eines weiteren Worts, zuckte sie mit den Schultern.
Wenn man Glück hat, bleiben einem die Freunde, die man mit sechzehn findet, ein Leben lang erhalten. Wenn man Verstand hat, weiß man, wann es Zeit ist, sie ziehen zu lassen. Ich blieb stehen und schaute ihr hinterher, während sie zu dem Diner ging, wo betrunkene, hungrige Menschen in diesem Moment Eier bestellten, die Kellnerin herumhetzten und das Besteck klauten. Ich ließ sie dorthin gehen, obwohl sie ziemlich viel getrunken hatte und jemanden brauchte, der sie nach Hause fuhr, und ich nicht sicher sein konnte, ob derjenige, den sie angerufen hatte, wirklich auftauchen würde, um sie abzuholen.
Ja. So sind manche Freunde.
4. KAPITEL
„Ich bin wirklich froh, dass du gekommen bist“, erklärte Austin im selben Moment, in dem er die Tür öffnete.
Ich sagte nichts.
Während ich an ihm vorbei ins Wohnzimmer ging, schloss er die Tür hinter mir. Ich erkannte die Couch und den
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