Anonym - Briefe der Lust
wissen?
Normalerweise hätte ich den Müll ohne Gummihandschuhe nicht angefasst, aber ich wühlte mich durch mehrere Lagen benutzter Papiertücher und Q-tips, ohne mich auch nur zu ekeln, obwohl mein Magen in meine Kehle hochgestiegen zu sein schien. Ich fand die Schachtel, die ich ebenso sorgfältig eingewickelt hatte wie den Test, und wollte sie aufreißen, um noch einmal die Anleitung zu lesen und festzustellen, ob es möglich war, dass das Ergebnis auch noch positiv werden konnte, nachdem die drei Minuten verstrichen waren. Bevor ich aber dazu kam, fand ich, immer noch fest eingewickelt und versteckt, den Test, den ich morgens gemacht hatte. Was natürlich bedeutete, dass der auf dem Rand des Waschbeckens nicht meiner war.
Mein Dankgebet war noch lauter und inbrünstiger als am Morgen, aber auch kürzer. Denn wenn es nicht mein Test war, war es der meiner Mutter. Und darüber wollte ich nicht nachdenken.
Während ich mich an diese Geschichte erinnerte, fuhr ich vor dem Haus meiner Mom vor. Dem Haus, in dem sie während der vergangenen drei Jahre mit Leo und Arty gewohnt hatte, nicht einem der vielen Häuser, in denen sie mich großgezogen hatte. Es war ein Backsteinbau, der zwischen zwei anderen eingeklemmt war und nur einen Steinwurf von den Bahngleisen entfernt lag. Nichts, was man auch nur im Entferntesten mit dem Haus meines Dads vergleichen konnte. Als ich jedoch eintrat, wehte mir der köstliche Geruch von frisch gebackenem Kuchen entgegen und nicht das Aroma teurer Duftkerzen, und die Umarmung meiner Mutter fühlte sich natürlich und nicht gezwungen an.
„Arty ist oben und macht sich fertig“, erklärte sie mir. „Ich habe ihm gesagt, dass er fürs Kino nicht sein Batman-Kostüm anziehen kann, aber … nun ja.“
„Es stört mich nicht, wenn er sein Batman-Kostüm anhat.“ Meine Mom seufzte und schüttelte den Kopf. „Bist du sicher?“
Vor Jahren hätte der Gedanke mich entsetzt, aber die Entfernung schien mich milde gestimmt zu haben. Vielleicht auch die Zeit. Ich zuckte mit den Schultern.
„Was spielt das für eine Rolle, wenn das Kind glücklich ist?“
Ich konnte ihren Blick nicht deuten, der nur eine Sekunde auf mir ruhte, bevor sie sich der Treppe zuwandte und rief: „Arty? Paige ist da!“
„Wo ist Leo?“ Ich hatte ihn immer gemocht, obwohl er viel zu laut über alberne Fernsehshows lachte und T-Shirts mit anstößigen Sprüchen trug.
Wieder ein Blick, den ich nicht verstand. „Er ist nicht zu Hause.“
„Offensichtlich.“ Sie erwiderte mein Lächeln nicht, aber bevor ich sie fragen konnte, ob etwas nicht stimmte, polterte Arty die Treppe herunter.
„Peng!“ Mit einem Satz sprang er direkt vor mich, die Hände in die Hüften gestemmt. Hinter der Maske funkelten seine braunen Augen. Offensichtlich hatte er nicht die Absicht, unserer Mom zu gehorchen. „Ich bin Batman!“
„Das ist nicht zu übersehen. Bist du fertig? Können wir gleich gehen, Batman?“ Er warf sich mir entgegen und schlang seine Arme und Beine um mich. „Juchhu! Ja! Ein Juchhu für Paige!“
„Viel Glück mit ihm. In der Schule hatte heute jemand Geburtstag. Er hat eine Menge Zucker gegessen.“
„Oh, schön. Zieh dir ein Sweatshirt über, Kurzer. Im Kino könnte es kühl sein.“ Fest erwiderte ich seine Umarmung. Er roch nach Babyshampoo und Süßigkeiten. Ich freute mich sogar auf die Stunden mit einem Arty im Zuckerrausch.
Meine Mom versuchte, mir eine Zehndollarnote in die Hand zu drücken, während Arty sich in seine Jacke kämpfte, aber ich weigerte mich, sie zu nehmen. „Nein, Mom.“
„Für Popcorn.“
„Ich sagte nein. “ Ich war schon seit der siebten Klasse größer als sie, doch als ich jetzt zu ihr hinunterblickte, war es ein seltsames Gefühl, von oben auf ihren Kopf zu starren. Sie war früh ergraut, hatte ihre Haare aber immer in ihrem Naturton nachgefärbt. Nun sah ich hier und da seitlich von ihrem Scheitel einen Zentimeter weiß.
Ich bemerkte auch Fältchen in ihren Augenwinkeln, als sie den Kopf hob und mich ansah. Meine Mom war mir nie alt erschienen, vermutlich einfach, weil sie es nicht war, aber sie sah müde aus. Ihr Eyeliner war ein wenig verschmiert, als wäre er mit zittriger Hand aufgetragen worden, oder als hätte sie ihre Augen gerieben. Das tat sie, wenn sie Kopfschmerzen hatte.
„Alles in Ordnung, Mom?“
„Alles bestens, Baby.“ Sie drückte den zusammengefalteten Geldschein gegen meinen Körper, nachdem ich meine Hand weggezogen hatte. „Nimm
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