Anonym - Briefe der Lust
es.“
„Ich sagte nein. Lass jetzt. Ich habe ihn eingeladen.“
Sie runzelte die Stirn. Ich ähnelte fast immer meinem Dad, aber jetzt erkannte ich mich selbst in ihren Zügen. „Paige. Du kannst mir nicht erzählen, dass dieses schicke Apartment nicht teuer ist.“
„Und ich habe einen guten Job, erinnerst du dich? Du musst dir nicht so viele Sorgen machen. Wirklich. Ich freue mich, Arty ins Kino einzuladen. Mir geht es gut.“
Mit einem Seufzer schob sie den Geldschein in die Tasche ihrer Jeans. „Als ob du es mir sagen würdest, wenn es nicht so wäre!“
Damit hatte sie mich. Ich grinste nur und zuckte die Achseln. Sie schüttelte den Kopf und bückte sich, um Arty in seine Jacke zu helfen. Angesichts der Tatsache, dass er ununterbrochen herumhüpfte, war das keine leichte Aufgabe. Ich streckte die Hand aus, um ihr zu helfen, und sie trat mit einem seltsam müden Seufzer zurück.
„Wir wollen jetzt gehen! Wir wollen jetzt gehen! Wir wollen jetzt gehen!“
„Ruhig, kleiner Kerl, ruhig“, ermahnte ich ihn und wandte mich mit einem prüfenden Blick an meine Mom: „Bist du wirklich in Ordnung?“
„Ich bin nur müde, Kleines. Geht jetzt und amüsiert euch. Wir sehen uns, wenn ihr zurück seid. Nicht zu spät“, ermahnte sie mich, natürlich wegen Arty, nicht meinetwegen. „Morgen ist Schule.“
Arty, der immer noch auf und ab hüpfte, griff nach meiner Hand. „Komm jeeeetzt!“
Genau wie ich sah mein kleiner Bruder dem Mann ähnlich, der ihn gezeugt hatte. Was jedoch sein Wesen anging, glich er vollkommen meiner Mutter. Während der zehnminütigen Fahrt zum Einkaufszentrum unterhielt er mich vom Rücksitz aus mit pausenlosem Geplapper. Früher hatten wir bis nach Palmyra ins nächstgelegene Multiplex-Kino fahren müssen, aber jetzt hatte Lebanon sein eigenes großes Filmtheater mit aufsteigenden Sitzreihen, das mit jedem Kino in Harrisburg mithalten konnte. Die Preise waren niedriger, was mich daran erinnerte, dass die Stadt, in der ich aufgewachsen war, ein paar wenige Vorteile bot.
Als der Film halb vorüber war, vibrierte mein Handy an meinem Schenkel. Mit einem Seufzer klappte ich es auf, als ich sah, wer mir eine Nachricht geschickt hatte – und ignorierte nach Kräften die Tatsache, dass ich nicht nur auf Anhieb die Nummer erkannt hatte, sondern irgendwann nach dem Speichern in einem Anfall geistiger Umnachtung diese Nummer mit einem Foto verknüpft hatte. Ich schirmte das Display mit der Hand gegen das Licht von der Leinwand ab, während ich die SMS las.
Wo bist du?
Ich beantwortete die SMS nicht, sondern klappte einfach nur das Telefon zu und schob es zurück in meine Hosentasche. Der Film ging weiter und weiter. Und weiter. Und noch ein bisschen weiter. Nie zuvor waren mir anderthalb Stunden so lang erschienen. Da aber Arty mit offenem Mund bewundernd die herumspringenden Zeichentrickfiguren anstarrte, schien er sich wenigstens zu amüsieren.
Ich gebe dem Zeichentrickfilm die Schuld. Wenn der Film mich auch nur im Mindesten interessiert hätte, hätte ich mein Handy nicht wieder hervorgezogen. Niemals hätte ich auf Austins Nachricht geantwortet. Inzwischen weiß ich es besser, aber das waren zu jenem Zeitpunkt meine Gedanken.
Ich sehe mir einen Film an.
Cool. Welchen Film? Die Antwort war innerhalb von Sekunden da.
Ich versuchte, mich nicht darüber zu freuen, dass er offensichtlich auf meine Antwort gewartet hatte.
Etwas mit Elfen und Feen. Meine Augen tränen. Bist Du mit Arty im Kino?
Es gefiel mir, dass Austin in seinen SMS keine Abkürzungen benutzte. Ja. Was machst du?
Ich denke an Dich.
Auf der Leinwand passierte etwas sehr Buntes und Lautes, aber ich konnte der Handlung des Films nicht die Schuld daran geben, dass mein Puls plötzlich raste. Ich schaute Arty an, der sich, den Mund voll Popcorn, vollkommen auf das konzentrierte, was da vor sich ging. Dann betrachtete ich das Handy. Meine Finger streichelten die Tasten, aber ich tippte nichts ein. Ich wollte nicht, dass es weiterging.
Vielleicht wollte ich es aber doch.
Und was denkst Du über mich?
„Paige“, flüsterte Arty. „Ich muss auf die Toilette.“
„Jetzt? Kannst du nicht noch fünf Minuten warten? Der Film ist fast zu Ende.“ Ich betrachtete den riesigen Pappbecher in seinem Getränkehalter. Es war die kleinste Menge gewesen, aber es war immer noch genug, um ein Boot sinken zu lassen. „Macht nichts. Komm.“
Arty wand sich auf seinem Sitz. „Nein, nein, ich will noch warten.“
„Du wirst
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